Verwaltungsgerichtshof Zl. 2003/08/0271 vom 20. Oktober 2004
Fachärztliche Untersuchung Arbeitsloser
Einer Arbeitslosen wurde vom Arbeitsmarktservice (AMS) Tirol aufgrund ihres „nicht einordenbaren Verhaltens“ eine amtsärztliche Untersuchung bei einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie vorgeschrieben. Da sie die Untersuchung verweigerte, wurde der Bezug der Notstandshilfe eingestellt.
Ihre an den Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde war erfolgreich. Wohl ist gemäß § 8 Abs. 2 Arbeitslosenversicherungsgesetz der Arbeitslose verpflichtet, wenn sich Zweifel über die Arbeitsfähigkeit ergeben, sich auf Anordnung der regionalen Geschäftsstelle des AMS ärztlich untersuchen zu lassen. Weigert er sich, dieser Anordnung Folge zu leisten, so erhält er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber auch darauf hingewiesen, dass medizinische Untersuchungen in das Grundrecht auf Privatleben nach Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention eingreifen und daher dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach Art. 8 Abs. 2 EMRK entsprechen muss.
Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Anordnung einer medizinischen Untersuchung gegen den Willen der betroffenen Partei darf allerdings die Prüfung, ob überhaupt und bejahendenfalls welche medizinischen Untersuchungen erforderlich sind, grundsätzlich nicht durch (medizinisch nicht fachkundige) Bedienstete des AMS vorgenommen werden.
Die Anordnung einer medizinischen Untersuchung durch Bedienstete des AMS gegen den Willen der Partei ist daher nur insoweit rechtmäßig, als auf Grund von bestimmten Tatsachen der Verdacht besteht, dass Arbeitsfähigkeit nicht (mehr) vorliegt. Weiters hat eine Zuweisung zur Untersuchung (vorerst) nur an einen Arzt für Allgemeinmedizin zu erfolgen. Soweit dieser die Frage der Arbeitsfähigkeit nicht abschließend zu beurteilen vermag, wäre es seine Sache darzutun, dass und welche weiteren Untersuchungen durch Fachärzte zur Abklärung des Leidenszustandes aus medizinischer Sicht erforderlich sind. Dies gilt auch für die Zuweisung zu einem Facharzt aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie: eine solche Zuweisung ist nur zulässig, wenn sie entweder der zunächst heranzuziehende Gutachter auf Grund des von ihm erhobenen Befundes für erforderlich erachtet oder die Partei ihr nachweislich zustimmt. Die Partei ist aber in jedem Fall über die Gründe für eine Zuweisung zu einer Untersuchung zu unterrichten, dazu zu hören und über die Sanktion für den Fall der Verweigerung der Untersuchung zu belehren.
Da die somit gebotenen Vorgangsweise hier nicht eingehalten wurde, hätte eine Einstellung der Leistung nicht verfügt werden dürfen.
24.03.2005