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Abtretungsverbot

    

Abtretungsverbot im Arbeitslosenversicherungsgesetz
ist verfassungswidrig

Typ VfGH Erkenntnis – Datum 20050926 – Geschäftszahl B25/05

Index
62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung
Norm
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall;

Spruch
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen
Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren
Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist
schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden des
Beschwerdevertreters die mit € 2.160,– bestimmten Prozesskosten
binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung
Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird der Berufung des
Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Steyr
keine Folge gegeben, der unter Berufung auf §68 Abs1
Arbeitslosenversicherungsgesetz die Rechtsunwirksamkeit einer der
Behörde vorgelegten Abtretungsvereinbarung feststellt, mit welcher
Forderungen aus auszuzahlendem Arbeitslosengeld einschließlich
Notstandshilfe und Sondernotstandshilfe bis zum Betrag von
13.290,– € samt Zinsen der an derselben Adresse wohnhaften Birgit L.
für offene Verbindlichkeiten an Miete, Strom und Heizkosten, sowie
privaten Zahlungsübernahmen gegenüber einigen Gläubigern abgetreten
werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende
Beschwerde, die die Verletzung in verfassungsgesetzlich
gewährleisteten Rechten und in Rechten wegen Anwendung eines
verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige
Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.

2. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der
Verfassungsgerichtshof nach Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein
Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Worte „übertragen
und“ in §68 Abs1 Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) 1977, BGBl.
Nr. 609 idF BGBl. Nr. 628/1991 ein. Mit Erkenntnis vom heutigen Tag,
G93/05 hob er diese Worte als verfassungswidrig auf.

II. Aus dem Vorgesagten folgt, dass die belangte Behörde eine
verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet hat. Es ist nach
Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die
Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.

Der Beschwerdeführer wurde also durch den angefochtenen
Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung
in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985).

Der Bescheid ist daher ohne mündliche Verhandlung in
nichtöffentlicher Sitzung (§19 Abs4 Z3 VfGG) aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den
zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,–
enthalten. Da dem Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64
Abs1 Z1 lita bis c ZPO bewilligt wurde, war vom Zuspruch der
Eingabegebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,– abzusehen.

Schlagworte
VfGH / Anlaßfall

Dokumentnummer
JFT/09949074/05B00025

Typ VfGH Erkenntnis – Datum 20050926 – Geschäftszahl G93/05
Index
62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz;
AlVG §68;

Leitsatz
Unsachlichkeit der Abtretungsbeschränkung für Ansprüche auf
Arbeitslosengeld im Arbeitslosenversicherungsgesetz unter Hinweis auf
die Vorjudikatur

Spruch
Die Worte „übertragen und“ in §68 des
Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609/1977, in
der Fassung der Exekutionsordnungsnovelle, BGBl. Nr. 628/1991, werden
als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere Vorschriften treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser
Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung
Entscheidungsgründe:

I. Der beim Verfassungsgerichtshof zu B25/05 angefochtene
Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice für
Oberösterreich (Ausschuss der Leistungsangelegenheiten) gibt einer
Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des
Arbeitsmarktservice Steyr keine Folge, womit die Rechtsunwirksamkeit
einer der Behörde vorgelegten Abtretungsvereinbarung festgestellt
wird. Mit dieser Vereinbarung werden die Forderungen aus
auszuzahlendem Arbeitslosengeld einschließlich Notstandshilfe und
Sondernotstandshilfe bis zum Betrag von 13.290,– Euro samt Zinsen
der an derselben Adresse wohnhaften Birgit L. für offene
Verbindlichkeiten an Miete, Strom und Heizkosten sowie privaten
Zahlungsübernahmen gegenüber einigen Gläubigern abgetreten. Da nach
§68 AlVG pfändbare Ansprüche nur zur Deckung gesetzlicher
Unterhaltsansprüche gegen den Anspruchsberechtigten rechtswirksam
übertragen und verpfändet werden könnten, es sich aber nicht um
solche handle, könne die Zession vom Arbeitsmarktservice nicht
berücksichtigt werden.

Aus Anlass dieser Beschwerde sind beim
Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Worte
„übertragen und“ im offenbar anzuwendenden §68 Abs1 AlVG idF BGBl.
628/1991 entstanden.

Dieser Absatz lautet (die in Prüfung gezogenen Worte sind
hervorgehoben):

„(1) Die pfändbaren Ansprüche auf Leistungen nach diesem
Bundesgesetz können nur zur Deckung gesetzlicher Unterhaltsansprüche
gegen den Anspruchsberechtigten mit der Maßgabe, daß §291b der
Exekutionsordnung, RGBl. Nr. 79/1896, sinngemäß anzuwenden ist,
rechtswirksam übertragen und verpfändet werden.“

In der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. 615/1987 lauteten
die letzten Worte noch „übertragen, verpfändet oder gepfändet
werden“, doch hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis VfSlg.
12.664/1991 die hervorgehobenen Worte aufgehoben, worauf die
Gesetzesstelle – ohne dass die Materialien zur
Exekutionsordnungsnovelle 1991 sich zur Beibehaltung des verbliebenen
Restes der alten Fassung äußerten – die geltende Fassung erhielt.
Dieses Erkenntnis, das auf Anträge des Oberlandesgerichtes Innsbruck
und des Landesgerichtes Feldkirch in Exekutionssachen erging, die
wegen alleiniger Präjudizialität nur bezüglich der dann aufgehobenen
Worte für zulässig erachtet worden waren, führte unter anderem
Folgendes aus:

„2. Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sind Ersatz
für fehlendes oder entfallendes Arbeitseinkommen. Den in der
Literatur hervorgehobenen Zweck, ‚den Lebensunterhalt des
Leistungsbeziehers und seiner Angehörigen zu sichern‘ (Dirschmied,
Arbeitslosenversicherungsrecht2 Anm. 1 zu §68 AlVG), teilen die
Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung mit dem Arbeitseinkommen.
Auch der Lohn ist für den Arbeitnehmer und seine Angehörigen
regelmäßig das einzige Unterhaltsmittel. Der Zweck der
Unterhaltssicherung allein kann eine unterschiedliche Behandlung der
Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitseinkommen
offenkundig nicht rechtfertigen. Diesem Zweck dienen schon die auf
einen angemessenen Ausgleich zwischen Gläubiger – und
Schuldnerinteressen bedachten Beschränkungen des LohnpfändungsG.

Was die Herkunft der Leistungen aus dem öffentlichen Recht
für die Frage der Pfändbarkeit hergeben soll, ist unerfindlich. Auch
das Diensteinkommen und die Ruhe- und Versorgungsgenüsse der Beamten
unterliegen ungeachtet ihres öffentlich-rechtlichen Charakters dem
allgemeinen Lohnpfändungsrecht. Daß die erforderlichen Mittel durch
eine Riskengemeinschaft aufgebracht werden, unterscheidet die
Leistung aus der Arbeitslosenversicherung aus exekutionsrechtlicher
Sicht ebensowenig von Arbeitseinkommen wie jene anderen
Sozialversicherungsleistungen, deren besonderen Pfändungsschutz der
VfGH bereits für gleichheitswidrig erkannt hat. Auch der – denkbare –
Einwand, die Gläubiger müßten sich mit dem aus der Arbeitslosigkeit
folgenden Einkommensentfall abfinden, der Verpflichtete sei nicht zu
ihren Gunsten gegen Arbeitslosigkeit versichert, wäre nicht
berechtigt. Die Arbeitslosenversicherung sichert gegen den Entfall
jenes Einkommens ab, mit dem der Versicherte wirtschaften muß. Es
widerspricht daher dem Sinn der Einrichtung nicht, wenn die
Ersatzleistung den Gläubigern ebenso haftet wie das
Arbeitseinkommmen. Was aber den von der Bundesregierung noch ins
Treffen geführten Zweck des allgemeinen Lohnpfändungsrechts betrifft,
den Arbeitnehmer (durch Erhöhung des pfändungsfreien Teiles mit
steigendem Einkommen) stärker zu motivieren und an den Arbeitgeber zu
binden (was in der Tat bei Arbeitslosen nicht in Betracht kommt),
spricht dieser nicht für die Unpfändbarkeit der Leistungen aus der
Arbeitslosenversicherung: Wo eine solche Motivierung und Bindung
nicht in Betracht kommt, müßte eher noch der motivierende Anreiz
selbst wegfallen. Zu unterstellen, die allgemeine Pfändungsgrenze
wäre deshalb so niedrig, damit ein Anreiz zu höherem Verdienst
gegeben werden könne, wäre unangebracht.

Eine Rechtfertigung für die Differenzierung könnte sich also
nur aus der geringeren Höhe der Versicherungsleistung oder aus ihrem
vorübergehenden Charakter oder aber aus dem Umstand ergeben, daß sie
vergleichsweise plötzliche Einkommensveränderungen abfangen soll.

Eine nähere Untersuchung zeigt jedoch, daß auch diese
Gesichtspunkte nicht durchschlagen: ……“

Aus diesen Überlegungen, die sich offenbar nur wegen
mangelnder Präjudizialität der anderen Fallgruppen bloß auf die Frage
der Pfändbarkeit ausgewirkt haben, schien sich zu ergeben,

„dass auch betreffs der Übertragbarkeit (Abtretbarkeit) eine
Differenzierung zwischen den Leistungen aus der
Arbeitslosenversicherung und einem Arbeitseinkommen unsachlich wäre
(wobei eine allfällige Besonderheit der Notstandshilfe unbeachtet
bleiben müsste, weil die in Rede stehende Bestimmung unterschiedslos
sämtliche Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erfasst).
Jedenfalls kann der Gerichtshof vorläufig auch keinen Grund erkennen,
der eine Beschränkung der Übertragbarkeit von Leistungen jenseits der
Pfändungsgrenze im Vergleich zum Arbeitseinkommen rechtfertigen
würde“.

Mit Beschluss vom 6. Juni 2005, B25/05-10 leitete der
Verfassungsgerichtshof daher gemäß Art140 Abs1 B-VG das Verfahren zur
Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des für den Fall der Übertragung
allein maßgeblichen Teils des §68 Abs1 AlVG ein.

Die Bundesregierung nahm im Hinblick auf das Erkenntnis
VfSlg. 12.664/1991 von einer Äußerung in der Sache Abstand.

II. Das Verfahren ist zulässig und die im Prüfungsbeschluss
erhobenen Bedenken sind auch begründet.

Es ist nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, dass
die belangte Behörde bei der Erlassung des im Anlassverfahren
angefochtenen Bescheides die in Prüfung gezogenen Worte „übertragen
und“ angewendet hat und auch der Verfassungsgerichtshof diese Worte
bei der Beurteilung der – zulässigen -Beschwerde anzuwenden hätte.

In der Sache gilt für die Beschränkung der Übertragbarkeit
von Leistungsansprüchen aus der Arbeitslosenversicherung offenkundig
Gleiches wie für die Beschränkung der Pfändbarkeit. Das Verfahren hat
keine Zweifel an der vorläufigen Annahme des Prüfungsbeschlusses
entstehen lassen, dass die Begründung des Erkenntnisses VfSlg.
12.664/1991 auch die Unsachlichkeit der Abtretungsbeschränkung
dartut. Es genügt daher, auf diese Begründung zu verweisen (weshalb
auch offen bleiben kann, ob eine solche Regelung beschränkt auf die
Notstandshilfe allenfalls anders zu beurteilen wäre).

Die in Prüfung gezogenen Worte „übertragen und“ sind daher
wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz (und infolge- dessen auch
gegen das Eigentumsrecht) als verfassungswidrig aufzuheben.

Der Ausspruch über die Kundmachung stützt sich auf Art140
Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 BGBlG, der
Ausspruch über die Wirkungen der Aufhebung auf dessen Abs6.

Die Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VfGG ohne
mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen
werden.

Schlagworte
Arbeitslosenversicherung, Exekution

Dokumentnummer
JFT/09949074/05G00093

22.06.2007

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