Dieser Beitrag erscheint im Dezember 2007 im schulheft Nr. 127, Periodikum für PädagogInnen zum Thema: „Führe mich sanft. Beratung Coaching & Co. – die postmodernen Instrumente der Gouvernementalität“ hrsg. von Eveline Christof, Erich Ribolits, Hannes Zuber, Studien Verlag Innsbruck. Erhältlich im Buchhandel.
Die Maßnahmen
Die Faulen werden geschlachtet,
die Welt wird fleißig.
Die Hässlichen werden geschlachtet,
die Welt wird schön.
Die Narren werden geschlachtet.
die Welt wird weise.
Die Kranken werden geschlachtet,
die Welt wird gesund.
Die Alten werden geschlachtet,
die Welt wird jung.
Die Traurigen werden geschlachtet,
die Welt wird lustig.
Die Feinde werden geschlachtet,
die Welt wird freundlich.
Die Bösen werden geschlachtet,
die Welt wird gut.
Erich Fried
Maßnahme
Eine Maßnahme ist das hoheitliche Handeln, das in die (Grund-)Rechte einer Person eingreift und gegen deren Willen vollzogen wird. Maßnahmen können nur von zuständigen Amtsträgern angeordnet und durchgeführt werden. Der Rechtseingriff durch die Maßnahme ist rechtmäßig, wenn sie auf einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung beruht (Rechtfertigungsgrund). Maßnahmen können mittels Verwaltungszwangs oder mittels unmittelbaren Zwangs durchgesetzt werden. Sobald der Betroffene die Freiwilligkeit des Vollzugs einer (ursprünglich) hoheitlichen Tätigkeit einräumt, spricht man nicht mehr von einer Maßnahme.
Bei der Polizei wird zwischen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung unterschieden. Maßnahmen, die beide Gebiete tangieren, sind doppelfunktionale Maßnahmen.
de.wikipedia.org
Maria Wölflingseder
Die Maßnahmen des AMS
Oder: Fußfesseln für Arbeitslose
Wer früher ohne Job war, war ein Versicherungsfall und wurde am Arbeitsamt wie ein Versicherungskunde behandelt – im Großen und Ganzen höflich, zuvorkommend, jedenfalls ohne Repressalien. Heute aber – wo sich das Arbeitsamt Arbeitsmarktservice (AMS) nennt und die Arbeitslosen großspurig als „Kunden“ tituliert werden, begegnet man ihnen als Schuldigen, als Renitenten, die zur Räson gebracht werden müssen, die gegängelt werden dürfen. Heute, wo Arbeitslosigkeit mehr denn je gesellschaftliche Ursachen hat, wird diese Tatsache – wenn es um den einzelnen Arbeitslosen geht – geleugnet: „Der Arbeitsmarkt ist zwar schwierig, aber Sie brauchen nur von der Schattenseite in die Lichtseite treten! Und ,lächle mehr als andere‘, das hat schon Götz von Berlichingen gesagt!“1 So absurd dies ist, in Zeiten der Auflösung der Arbeit wird die Arbeitslosigkeit individualisiert, also auf persönliches Versagen des Einzelnen, auf zu wenig Anstrengung, zu wenig Bildung oder die nicht „richtige“ Ausbildung zurückgeführt. An jedem Arbeitslosen wird ein Makel diagnostiziert: das Defizit. Aus dem Versicherungsfall ist jemand geworden, dessen Mängel und Schäden behoben werden müssen. Also wurde die Pädagogisierungsmaschinerie hochgefahren.
Schwarze Pädagogik
Das Arbeitsmarktservice gebärdet sich jedoch mehr wie eine Institution Schwarzer Pädagogik denn wie eine Service-Einrichtung. – Als ich im Jahr 2000 arbeitslos wurde, war ich nicht nur über den – im Vergleich zu den späten 1980er Jahren und frühen 1990er Jahren – völlig veränderten Umgangston und die Zwangsmaßnahmen perplex, sondern noch mehr darüber, dass in der Öffentlichkeit nichts über diese Erniedrigungsrituale bekannt war.
Mit dem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit haben sich die Ausgaben der „aktivierenden Arbeitsmarktpolitik“, also die für Kursmaßnahmen, von ca. 120.000 Euro im Jahr 1999 auf jährlich ca. 900.000 Euro seit 2005 erhöht. Auch die Zahl der Arbeitslosen in Kursen steigt noch immer an: 2006 waren es um 18,3 Prozent mehr als im Jahr davor. Bei Frauen gab es sogar eine Steigerung um 24,9 Prozent. Ständig werden ca. 60.000 Personen geschult, gecoacht, gebildet, aktiviert.
Das AMS hält für seine Kunden ein auf den ersten Blick reichhaltiges Angebot an „Integrationsmaßnahmen“ bereit. Damit sind verschiedene arbeitsmarktpolitische, sozialpädagogisch unterstützende Kursmaßnahmen gemeint, deren Ziel die Eingliederung der Teilnehmer in den regulären, den so genannten „ersten Arbeitsmarkt“ ist. Auf den zweiten Blick unterscheiden sich die Angebote jedoch nicht wesentlich von einander. „Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung“, der „Berufsorientierung“ und der „Unterstützung der Arbeitsvermittlung“ bzw. „Aktivierung“ werden unter dem Überbegriff „Qualifizierung für Arbeitslose“ subsumiert. Sie alle haben die „Aktivierung der Teilnehmer“ zum Ziel (vgl. Wolfgang Iro 2005, S. VI).
Dass die meisten Maßnahmen aber mitnichten dazu dienen, wieder einen Job zu bekommen, diese schmerzliche Erfahrung machten Hunderttausende im Lauf des vergangenen Jahrzehnts. Vor allem für ältere bzw. hochqualifizierte Arbeitslose entpuppen sich all die Wiedereingliederungsprozeduren als reinste Chimäre. Als ob es an ihren mangelnden Fähigkeiten oder ihrem fehlenden Engagement läge, ohne Job zu sein. Gleichwohl werden sie behandelt, als ob sie etwas verbrochen hätten. – Aber Maßnahmen schaffen ja keine neuen Jobs! Dies gestand denn kürzlich auch Frau Dr. Ingeborg Friehs, stellvertretende Landesgeschäftsführerin des AMS Wien, ein: Damit würden nur die Chancen auf einen Arbeitsplatz gesamtgesellschaftlich ein bisschen gerechter verteilt. – Welch ein immenser Aufwand, nur um die Arbeitslosigkeit ein bisschen umzuschichten? Die einen bugsiert man in den Arbeitsmarkt hinein und auf der anderen Seite fallen dafür wieder welche raus. Könnten die enormen Kosten für dieses Nullsummenspiel nicht besser verwendet werden? Aber diese „gerechtere Verteilung“ der Arbeitslosigkeit dient wohl einerseits dazu, ein soziales Ungleichgewicht bzw. das Aufbegehren einer bestimmten sozialen Gruppe zu verhindern, und andererseits alle Berufs-, Alters- und Gesellschaftsgruppen spüren zu lassen, wie entwürdigend Arbeitslosigkeit ist. Der dadurch erzeugte Druck erhöht dann die Bereitschaft, Jobs unter den miesesten Bedingungen anzunehmen, enorm.
Das Gros der Kurse sind keine fachlichen Aus- oder Weiterbildungen, sondern verschiedene Arten des Bewerbungstrainings, der Job-Suche-Intensiv und der Motivation, die Arbeitslose jährlich oder halbjährlich absolvieren müssen. Die Dauer variiert von sechswöchigen Kursen, die einmal die Woche zu besuchen sind (z.B. die so genannten Einzelcoachings) bis zu solchen, die zwischen sechs Wochen und mehreren Monaten täglich zu besuchen sind. Die Auswahl der Kurse – die Kriterien bleiben meist im Dunkeln – und die kurzfristige schriftliche „Einberufung“ dazu erfolgen durch die einzelnen BetreuerInnen. Die Maßnahmen werden außerdem selten mit den Kunden abgesprochen.
Dass Absolventen der Wirtschaftsuniversität einen dreimonatigen Wirtschaftsgrundkurs besuchen müssen, deutschsprachige Jugendliche einen Kurs „Deutsch als Fremdsprache“, EDV-Experten einen EDV-Einführungskurs, Personalchefs ein Bewerbungstraining, zeugt von pauschalen Massenzubuchungen anstatt von persönlicher Betreuung. Die Landesgeschäftsführerin des AMS Burgenland Mag. Helene Sengstbratl rechtfertigte in einem ORF-Interview solche Praktiken mit dem Hinweis, dass das hohe Budget ausgegeben, also genug „Interessenten für die Angebote“ gefunden werden müssen. Was für ein Euphemismus für „Zwangsrekrutierung“!
Wer es nicht selbst erlebt hat, kann sich meist keine Vorstellung machen vom demütigenden Umgang der AMS-BetreuerInnen und KursleiterInnen mit den Arbeitslosen. Wobei diesen kein böser Wille zu unterstellen ist, sie erfüllen ja lediglich ihre Pflicht. – In den Stunden, Tagen und Wochen dieser, von den Betroffenen bezeichnenderweise „Sinnloskurse“ genannten, Maßnahmen wird viel Zeit totgeschlagen, weil davon wesentlich mehr zur Verfügung steht, als es zu schulen, motivieren und coachen gibt. Die TrainerInnen lösen einander ab. Wobei der nächste die Art und Weise des vorigen, Bewerbungsschreiben und Lebensläufe zu verfassen, verwirft und seine eigene als die einzig zielführende präsentiert. Es wird etwa stundenlang doziert, wie viele Leerzeilen wohin gehören. Ein Hinterfragen oder das Verweigern der jeweiligen alleingültigen Methode eines Trainers kann als Vereitelung ausgelegt und mit einer Bezugssperre geahndet werden. Freie Meinungsäußerungen sind in Zwangsmaßnahmen also riskant; und sei es nur das Berichten seiner (erfolglosen) Erfahrungen bei der Arbeitssuche, – es darf nur positiv gedacht und gesprochen werden!
Oft gibt es viel zu wenige PCs für die Online-Jobsuche. Das meiste könnte zu Hause viel schneller und effektiver erledigt werden. – Überdies kommen in den Maßnahmen mehr oder weniger brauchbare Anleihen aus der Gruppendynamik genauso wie dubiose „Psychotests“ und „Psychospielchen“ zum Einsatz, ferner zahlreiche esoterisch verbrämte Techniken wie Meditation, NLP, Aufstellungen nach Bert Hellinger und vieles mehr. – Die hochtrabend klingenden Maßnahmen – wie Betreuungs-, Ausbildungs- und Berufspläne schmieden, Orientierungs- und Aktivierungsphasen durchlaufen, die Jobsuche intensivieren – sind selten von Erfolg gekrönt. All diese Pflichtübungen sind blanker Zynismus vor dem Hintergrund der weit auseinander klaffenden Zahl der Joblosen und jene der offenen Stellen. (Das vielgepriesene aktuelle Jobwunder ist ja schlicht ein blaues. Zahlreiche Jobs wurden in zwei bis drei McJobs aufgeteilt und fertig ist die wundersame Jobvermehrung.2)
Wolfgang Iro schreibt in seiner Diplomarbeit über einen Großteil von Arbeitslosen: „Die Maßnahmen stellen … eine weitere Stufe des mit öffentlichen Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe) verbundenen Zwanges zur permanenten Zurschaustellung ihrer Arbeitswilligkeit dar, auch wenn sich ihnen de facto gar keine realisierbare Arbeitsmöglichkeit bietet“ (Wolfgang Iro, 2005, S. 10).
Auch die Tatsache, dass es oft bloßer Zufall ist, ob jemand als Trainer oder aber als Trainierter eine Maßnahme zu besuchen hat, wirft ein bezeichnendes Licht auf dieses potemkinsche Dorf. Ein Teil ansonst Arbeitsloser schult den anderen. Wir simulieren Vollbeschäftigung!3
Bedrohte Existenz
All diese wie reine „Beschäftigungstherapie“ anmutenden Kurse sind aber nur ein Bruchteil der Schikanen, die Arbeitslose über sich ergehen lassen müssen. Eine noch mehr traumatisierende und paralysierende Maßnahme ist die ständig angedrohte Streichung der Unterstützung. Jedes kleinste „Vergehen“ kann sie zur Folge haben. Im Jahr 2005 gab es 82.000 Sperren (ein Plus von 13,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr) à vier bis sechs Wochen bzw. beim zweiten Mal binnen einem Jahr à acht Wochen. 15.000 Sperren gehen auf Vereitelungen eines Job- oder Kursangebots zurück, 37.000 auf Kontrollterminversäumnisse oder Ähnliches, der Rest auf die vierwöchige Wartefrist für das Arbeitslosengeld bei Selbstkündigung. – In der gängigen Praxis einiger Bundesländer gibt es Vorgaben, wie viele Sperren in einem bestimmten Zeitraum verhängt werden müssen. Gründe dafür hat das AMS-Personal selber zu finden. Dieses wurde in Wien von oberösterreichischen KollegInnen einschlägig geschult, worauf die Anzahl der Sperren empor schnellte. Drei beliebige Fälle:
1. Eine Akademikerin in Wien wird dazu angehalten, drei Bewerbungen pro Woche nachzuweisen. Dies erledigt sie. Nur weil sie einen eigenen Zettel, in dem die Bewerbungen aufgelistet werden sollen, noch nicht ausgefüllt hat, soll ihr das Geld für sechs Wochen gestrichen werden.
2. Ein technischer Angestellter in der Steiermark wird per Brief zum AMS vorgeladen (normalerweise erhält man bei der Vorsprache am AMS den nächsten Termin mitgeteilt). Er wird in ein Extrazimmer geführt, dort sitzen mehrere Beamte und stellen ihm wie bei einem miesen Polizeiverhör unzusammenhängende Fragen, aus deren Beantwortung sie dann einen Grund für eine sechswöchige Sperre kreieren.
3. Einem Arbeitslosen in Niederösterreich wird ohne sein Wissen das Geld für drei Wochen gestrichen. Ein andermal wird er zu einer Leiharbeitsfirma geschickt, dort muss er ein Formular ausfüllen, u.a. seinen Beruf und seine Ausbildung angeben. Dies wird ihm vom AMS als Vereitelung des Stellenangebots ausgelegt, da er ja mit seiner Ausbildung den Hilfsarbeiterjob nicht bekomme. Fazit: Geld für sechs Wochen gestrichen. Danach: „Was, Sie haben trotz Sperre noch immer keinen Job? Dann sind Sie ja wohl eh gar nicht auf die Unterstützung angewiesen!“
Dass Arbeitslose viel öfter physisch und psychisch krank sind und ein deutlich höheres Risiko haben, frühzeitig zu sterben, ist erwiesen. Das hat mehrere Gründe. Zum einen die schlechte finanzielle Lage, die ein menschenwürdiges Dasein oft verunmöglicht. Zum anderen die gesellschaftliche Stigmatisierung, die den Arbeitslosen ihre Wertlosigkeit einbläut. Und den Gipfel an nervlicher Belastung und/oder gar existenzieller Bedrohung verursacht oft das AMS. Manche sehen daraus nur einen Ausweg, indem sie sich selbst töten.
Verwaltungsgerichtshof und Volksanwaltschaft
Viele dieser unerträglichen Praktiken des AMS sind rechtswidrig. Der Verwaltungsgerichtshof und die Volksanwaltschaft befassen sich seit Jahren damit.
Zwei Drittel aller Sperren sind illegal, weiters zahlreiche Zwangsmaßnahmen wie Zuweisungen zu „gemeinnützigen Personalkräfteüberlassern“ oder zur „aufsuchenden Jobvermittlung“. Arbeitslose sind bei „gemeinnützigen Personalkräfteüberlassern“ in einem Arbeitsverhältnis, auch wenn sie gar keinen Job haben. Hier werden also Maßnahmen als Anstellungsverhältnis getarnt, mit der Folge, dass der Arbeitslose nach 28 Wochen mit einem Lohn von 800 Euro nur mehr Anspruch auf 400 Euro Arbeitslosenunterstützung hat. – Die „aufsuchende Jobvermittlung“ entspricht dem, was in Deutschland im Volksmund „Verfolgungsbetreuung“ genannt wird. Arbeitslose bekommen eigene Betreuer, die ihr Privatleben ausspionieren – alles kann gegen sie verwendet werden – oder sie im Morgengrauen zu einem Vorstellungsgespräch abholen, von dem sie am Vortag spätabends per SMS informiert wurden. Pech, wer spät in der Nacht keine SMS mehr abruft.
Besondere staatliche Willkür und somit akute massenhafte Existenzgefährdung stellt der Trick dar, mit dem das Verfassungs- und Menschenrecht auf ein ordentliches Verwaltungsverfahren ausgehebelt wird: Weder über den Leistungsanspruch noch über die Einstellung von Leistungen wird ein Bescheid ausgestellt; folglich kann kein Anspruch eingeklagt, kein Einspruch erhoben und keine aufschiebende Wirkung beantragt werden. Deshalb rät der Rechtsanwalt, einen Feststellungsbescheid über den Leistungsanspruch zu beantragen. Nur dann kann der Anspruch bei willkürlicher Einstellung eingeklagt werden. – Weiters sind „vorläufige Einstellungen“ rechtswidrig, weil diese vom Gesetz her nicht wegen punktueller Verstöße gegen das Arbeitslosenversicherungsgesetz verhängt werden dürfen, sondern nur bei dauerhaftem Entfall der Voraussetzungen für das Arbeitslosengeld.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Urteilen gegen die illegalen Praktiken des AMS entschieden4, und die Volksanwaltschaft (VA) prangert diese Vorgangsweisen vehement an. Das AMS zeigt sich davon im Großen und Ganzen unbeeindruckt. Die nachstehenden Auszüge aus dem Jahresbericht der VA von 2004 sprechen für sich.5
* „Aus Sicht der VA ist hinsichtlich der erwähnten Gruppen (Überfünfzigjährige, Mütter mit Betreuungspflichten für minderjährige Kinder sowie Hochqualifizierte bzw. AkademikerInnen, Anm. M.W.) vielfach festzustellen, dass es regelmäßig nicht an Kenntnissen bzw. Fähigkeiten der betroffenen arbeitslosen Menschen mangelt, sondern vielfach von Dienstgeberseite keinerlei Bereitschaft besteht, Dienstnehmerinnen bzw. Dienstnehmer einzustellen, die bereits ein gewisses Lebensalter überschritten oder umfangreiche familiäre Sorgepflichten haben. Aus Sicht der VA ist es in diesem Zusammenhang eher als eine Aufgabe der Politik zu sehen, hier auf Dienstgeberseite eine entsprechende Einstellungsänderung herbeizuführen.“
* „Wenig zweckmäßig erscheint es demgegenüber, wenn das AMS gleichsam künstlich Qualifikationsmängel bei den betroffenen Arbeitslosen ,konstruiert‘ und massenweise die Zuweisung zu Wiedereingliederungsmaßnahmen verfügt.“
* „Gleichzeitig sollte man aus Sicht der VA sowohl seitens des AMS als auch seitens der Politik den Mut aufbringen, zuzugestehen, dass es einfach Menschen gibt, die zumindest vorübergehend trotz aller redlichen Bemühungen auf Grund der derzeitigen Arbeitsmarkt- bzw. allgemeinen Wirtschaftslage keine Möglichkeit haben, im Beschäftigungsleben wieder Fuß zu fassen.“
* „Eine Zwangsverpflichtung zur Teilnahme an Wiedereingliederungsmaßnahmen ist in solchen Fällen nicht nur gesetzwidrig, sondern letztlich auch nur schwer mit der Wahrung der Menschenwürde und Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit in Einklang zu bringen.“
* „Die Teilnahme an Wiedereingliederungsmaßnahmen ist für arbeitslose Menschen nur dann verpflichtend, wenn das AMS nachweist, dass die konkreten Kenntnisse und Fähigkeiten des/der jeweiligen Arbeitslosen für eine Reintegration ins Beschäftigungsleben nicht ausreichen und speziell die in Aussicht genommene Maßnahme geeignet ist, jene ,Defizite‘ auszugleichen.“
Letzteres wird bis zum heutigen Tag missachtet bzw. werden nach wie vor künstliche Defizite kreiert. Die Zuweisung aller Langzeitarbeitslosen zu sechswöchigen oder noch längeren, ganztägigen Maßnahmen ist sogar im neuen Regierungsplan verankert und läuft zur Zeit – Sommer 2007 – voll an.
Ein gesonderter Bereich, auf den hier nicht weiter eingegangen werden kann, sind die Rolle bzw. die Arbeitsbedingungen der AMS-Kurs-TrainerInnen. Aus dem Jahresbericht 2005 der VA geht hervor, dass ihre finanziell äußerst „prekäre“ Situation und die oft unzureichende Einschulung einen Teil der allgemeinen Problematik ausmachen. (Jene besteht sicher nicht nur am bfi in der schlichten Empfehlung: „Machen’s den Kasperl, damit Ihnen die Leut’ net davonrennen.“) TrainerInnen wenden sich höchstens anonym an die VA – aus Furcht vor beruflichen Nachteilen. Sie wagen es nicht, ein offizielles Prüfungsverfahren anzustrengen.
Im Folgenden sollen die ideologischen Hintergründe dieser menschenverachtenden strukturellen Gewalt erhellt werden. Warum ist es dem AMS trotz all der Verwaltungsgerichtshof-Entscheide und trotz des Einschreitens der Volksanwaltschaft weiterhin möglich, seinen Kunden mit erniedrigenden und oft illegalen Maßnahmen das Leben zur Hölle zu machen?
Der statistische Zweck heiligt jede Willkür
Dass mit den Maßnahmen Kurszuweisung und Sperre der Unterstützung die Statistik bereinigt wird, ist allgemein bekannt. Viele melden sich aufgrund des Psychodrucks auch selbst (vorübergehend) vom Bezug ab, sodass die Statistik noch bessere Zahlen aufweist.
Die oberste Devise heißt also, die offizielle Zahl an Arbeitslosen muss dem politischen Diktat möglichst gut entsprechen. Wobei es verschiedene Berechnungsarten gibt: eine nationale und eine europäische. Eine Arbeitslosenrate von unter vier Prozent in der moderaten europäischen Zählvariante gilt als Vollbeschäftigung. Dieses Ziel verfolgt die Regierung eisern. Weil sich die Arbeitslosigkeit aber schwerer als Zahlen und Menschen bekämpfen lässt, wird einerseits die Statistik hingebogen und hingelogen (mit einer Statistik kann man bekanntlich alles beweisen) und andererseits den Arbeitslosen die Daumenschrauben immer fester angezogen.
Der Willkür der Gesetzgeber sind – wie gezeigt – keine Grenzen gesetzt. Ein einfacher Trick bewirkt auch, dass es hierzulande kaum Langzeitarbeitslose gibt: Diese werden in einen Kurs gesteckt oder es wird ihnen das Geld gestrichen, und schon haben wir lauter „frische“ Arbeitslose. – Besonders häufig werden Maßnahmen im Sommer verhängt. Einerseits weil die Statistik einmal im Jahr besonders niedrig sein muss (die Winterarbeitslosigkeit hingegen ist ja „natürlich“), andererseits weil die Wahrscheinlichkeit recht groß ist, dass sich in dieser Jahreszeit viele überhaupt vom Bezug abmelden (müssen), da Eltern in der schul- und oft kindergartenfreien Zeit Betreuungspflichten haben, aber trotzdem dem Arbeitsmarkt rsp. für Kursmaßnahmen 16 Stunden pro Woche zur Verfügen stehen müssten.
Im Frühjahr 2005 haben Professoren der Wirtschaftsuniversität Linz errechnet, dass die tatsächliche Zahl der Arbeitslosen mindestens doppelt so hoch ist wie die in der Statistik verlautete (vgl. „Die Presse“, 1. Mai 2005, S. 1). Nicht nur alle, die sich in Schulungen, sprich: in freiwilligen und unfreiwilligen Maßnahmen, befinden, werden nicht mitgezählt, sondern auch zahlreiche andere: meist jene, die noch gar keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben (einen solchen gibt es erst nach einem Jahr Beitragszahlung), also zahllose Universitätsabsolventen; alle, die keine Notstandshilfe bekommen, weil das Partnereinkommen einberechnet wird; jene, die sich den Schikanen seitens des AMS nicht aussetzen wollen und sich deshalb (zeitweise) nicht arbeitslos melden; alle, die einen Pensionsantrag gestellt haben, der ein halbes Jahr lang bearbeitet wird; alle, die im Krankenstand sind; und jene, deren Unterstützung – nicht selten rechtswidrig – für sechs Wochen oder länger gestrichen wurde.
Dem Ende der klassischen Arbeitsverhältnisse entspricht auch ein Ende der klassischen Arbeitslosigkeit, d.h. die Bereiche Arbeit und Arbeitslosigkeit verschwimmen immer mehr. Deshalb sagt die Arbeitslosenstatistik überhaupt wenig aus. Vor allem nichts über die immer größer werdende Zahl an Working poor, die von ihrem (Teilzeit-)Job, ihren mehreren McJobs oder ihrer selbständigen Tätigkeit nicht leben können.
Bildungswahn – Kehrseite des Arbeitswahns
Arbeitslosen wird ständig unterstellt, die Ursache ihrer Arbeitslosigkeit läge in ihrer Unterqualifikation, in ihrer Inaktivität, ihrer Faulheit und Lethargie. Und das, obwohl viele bei der Jobsuche als „überqualifiziert“ abgelehnt werden bzw. sie bereits Hunderte von Bewerbungen verschickt haben. Das Grundmuster besteht – ich habe es eingangs bereits angeschnitten – in der Individualisierung eines eminent gesellschaftlichen Missstands, in der Schuldzuweisung an den Einzelnen mittels Defizit-Theorie, welche wiederum als Rechtfertigung für Pädagogisierung, sprich Zwangsmaßnahmen dient.
Dass Arbeitslosigkeit vor allem Ungebildete treffe, ist ein hartnäckiger Mythos. Diese Behauptung von Regierungsseite bis hin zu linken Journalisten ist in mehrfacher Hinsicht fragwürdig. Schon allein die offiziellen Zahlen, wonach es unter den Unterqualifizierten prozentuell mehr Arbeitslose gebe als unter den Hochqualifizierten, müssen hinterfragt werden. Hochqualifizierte Arbeitslose sind wohl nur prozentuell seltener arbeitslos gemeldet als alle anderen: 1. Junge AkademikerInnen gehen selten zum AMS, weil sie als Berufsanfänger noch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Sie absolvieren bis zu 15 Praktika, meist un- oder äußerst gering bezahlt; 2. viele jener, die es sich (gelegentlich) leisten können, mit Ersparnissen, Erbschaften oder Einkünften aus Vermietungen über die Runden zu kommen; und 3. ist unter den Hochqualifizierten die Zahl derer, die keine Notstandshilfe bekommen (also meist auch nicht arbeitslos gemeldet sind), weil das Partnereinkommen zu hoch ist, sicher größer als bei anderen. – Die Dunkelziffer hochqualifizierter Arbeitsloser ist deshalb vermutlich weit höher als bei den niedriger Qualifizierten. Jörg Becker, ein deutscher Politikwissenschaftler, beschreibt es treffend: Dreißig, vierzig hochqualifizierte Wissenschaftler gebe es in seinem Bekanntenkreis, die außer gelegentlichen, kleinen Aufträge zu äußerst geringem Stundenlohn keinerlei Verdienstmöglichkeiten hätten. Sie alle seien letztlich auf das Einkommen ihrer Partnerinnen angewiesen – zumeist verbeamtete Lehrerinnen (vgl. Jörg Becker 2006).
All die AMS-Zwangsmaßnahmen dienen auch dazu, die Ideologie der Arbeit, die Lohnarbeitsgesellschaftsordnung, die längst nicht mehr funktioniert, aufrechtzuerhalten. Kurse aller Art dienen einerseits als Arbeitsersatz und andererseits als Methode der Einschüchterung, des In-Schach-Haltens, damit Joblose ja nicht auf kritische Gedanken kommen. – Als Begründung des Zwangs zum lebenslangen Lernen wird der immer noch ausschließlich positiv besetzte Bildungsbegriff bemüht. Was aber macht den Mythos Bildung so unerschütterlich? Warum wird uns ständig eingebläut, wir hätten gefälligst lebenslänglich zu lernen, ansonsten wir zum alten Eisen kämen und die ganze Nation ins Hintertreffen? Die Erfolgsstory der allerorts geforderten Bildung sehen die Münchner Pädagogikprofessoren Karlheinz Geißler und Frank Michael Orthey (2004) in ihrer Tradition von Aufklärung und Emanzipation. Aber was ist heute daran emanzipatorisch? Gelehrt, gelernt und geforscht wird doch nur mehr, was verkäuflich ist, was sich am besten verwerten lässt, was einem angeblich beruflich nützt. Es geht also um pure Nützlichkeit und Anpassung an die Vorgaben einer höchst fragwürdigen Wirtschaftsform. Es wird suggeriert, Arbeitslosigkeit sei nur eine Frage der Behebung individueller Defizite. Wenn der Erfolg trotz Bildung ausbleibt, habe ich das Falsche gelernt. Zurück an den Start!
Aber das Heer der Arbeitslosen erhofft sich von Bildung nicht nur eine Jobchance, sondern all die Aus- und Weiterbildungen dienen oft schlicht ihrer Existenzberechtigung. Diese wird ja Arbeitslosen als nicht vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft abgesprochen.
So wird Bildung degradiert zur Fortsetzung der sinnlosen Lohnarbeitstretmühle mit anderen Mitteln. Geißler bringt es auf den Punkt: „Das lebenslange Lernen ist eine Form, das Leben zu umgehen.“ Der Bildungswahn entpuppt sich als die Kehrseite des Arbeitswahns.
Elektronische Fußfesseln für Langzeitarbeitslose
Das Gesetz verlangt von den Arbeitslosen, „dem Arbeitsmarkt jederzeit zur Verfügung zu stehen“. Konkret: Jeder x-beliebige Termin (der oft kurzfristig anberaumt wird) muss wahrgenommen, jeder Kurs besucht werden, ins Ausland zu fahren ist verboten (man ist dort auch nicht unfall- und krankenversichert) und der Wohnort darf nur unter Angabe einer Kontaktmöglichkeit verlassen werden, damit eine eventuelle neue Terminvereinbarung oder ein Jobangebot zugestellt werden können. Das AMS fordert die Post sogar auf ihren vorgedruckten Briefkuverts auf: „Nicht nachsenden!“
Was hat es mit der Mobilität bzw. der Mobilitätseinschränkung in unserer Gesellschaft auf sich? Das Gebot, das für Menschen mit Job gilt, ist dem für solche ohne Job diametral entgegengesetzt. Bei der Wahrnehmung von Arbeitsmöglichkeiten ist totale Mobilität und absolute Flexibilität das Ideal. Arbeitslose hingegen werden möglichst stillgestellt. Der hessische Justizminister Christean Wagner (CDU) forderte im Jahr 2005 gar elektronische Fußfesseln für Langzeitarbeitslose. Diese Methode der lückenlosen Überwachung soll neben therapierten Suchtkranken auch allen Menschen, die längere Zeit ohne Job sind, als „Hilfe zur Selbsthilfe“ dienen, sich wieder schneller und besser in die Gesellschaft einzugliedern.
Ein Blick in die Geschichte zeigt ein ähnliches Szenario der Mobilitätseinschränkung schon im 19. Jahrhundert. Damals gab es große Migrationsbewegungen. Auf der Suche nach Arbeit strömte die Landbevölkerung in die entstehenden industriellen Zentren. Wenn diese bei Konjunktureinbrüchen der Armenfürsorge zur Last fielen, mussten sie wieder in ihre Geburtsorte zurückkehren. Nur dort hatten sie Anspruch auf Unterstützung. Aber nicht nur diese historische Parallele springt ins Auge, sondern auch eine zeitgenössische. Die Einschränkung der Freizügigkeit des Arbeitslosen hat ihr Vorbild in der Behandlung des Staatsbürgerrechtslosen, des Asylsuchenden. Asylwerber dürfen in Deutschland den Landkreis nicht verlassen, in dem ihre Unterkunft steht. Auch in Österreich wurde das Asylgesetz kürzlich drastisch verschärft. Es sieht weitere Einschränkungen der Mobilität von Asylbewerbern vor. Immer öfter werden Menschen rein ihres ungesicherten Aufenthaltsstatus wegen in Schubhaft genommen, ohne je eine kriminelle Handlung begangen zu haben.
Diese anvisierte Gleichbehandlung von Arbeitslosen und Asylwerbern hat eine gewisse Logik, und hier liegt der springende Punkt: Das vollwertige Subjekt muss in unserer Gesellschaft Arbeit und einen gesicherten Rechtsstatus vorweisen. Sind diese nicht vorhaben, werden (Straf-)Maßnahmen wirksam. Nicht-Subjekte, also Asylwerber wie Arbeitslose werden stillgestellt. Solange Arbeitslosigkeit noch kein Massenphänomen war, wurde Letzteren der Subjektstatus noch honoris causa, also ehrenhalber, zuerkannt. Seit einigen Jahren wird dieser Status aber immer brüchiger. Insbesondere Langzeitarbeitslosen wird die Berechtigung als vollwertiges Subjekt zunehmend abgesprochen. Während sich alle Menschen, außer Strafgefangenen und Kindern, die der Schulpflicht unterliegen, frei bewegen dürfen, werden Arbeitslose in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. (Der Zwang zur Mobilität im Arbeitsleben hingegen beruht auf privatrechtlichen Verträgen.) In der Logik kapitalistischer Verwaltung von Nicht-Subjekten machen Fußfesseln also durchaus auch für Langzeitarbeitslose Sinn!
Totale Institution
Die Folgen, die Arbeitslose durch die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit gepaart mit den finanziellen Verlusten, die wiederum zur sozialen und kulturellen Deprivation führen, erleiden, können durchaus mit jenen in totalen Institutionen verglichen werden. Erving Goffman prägte diesen Begriff als Unterform der sozialen Institution, die durch Einschränkungen des sozialen Verkehrs mit der Außenwelt einen allumfassenden oder totalen Charakter annimmt. Für Arbeitslose wirken die Einschränkungen ihrer Möglichkeiten auch ohne Kasernierung wie totale Institutionen bzw. wie Fußfesseln. Überdies ist die Arbeitsgesellschaft selbst total geworden. Je mehr die Arbeit überflüssig wird – die Reichtumsproduktion hat sich ja von der Arbeit abgekoppelt6 –, desto erbarmungsloser wird das blinde Bekenntnis zu ihr eingefordert. Um diesen eklatanten Widerspruch nicht sichtbar werden zu lassen, bedarf es harter Bandagen, wie sie nach dem Wechsel vom gutmütigen Volkspädagogen, der die Arbeitslosen noch aufmunterte, zum schwarzen Prügelpädagogen verabreicht werden. Kein Zufall, dass diese gerade in Zeiten auf den Plan treten, in denen die Verwertbarkeit der Arbeitskraft lahmt und das atomisierte „Humankapital“ zunehmend entwertet wird. Ein Feldzug gegen die Unlust der Unvernutzbaren bietet sich als Ventil an. Der Zwang, die sich ständig verschärfende Selbstzurichtung als Glück empfinden zu müssen, nimmt immer krankhaftere Formen an. So versichert sich der normale Arbeitsirre seiner psychischen Gesundheit, indem er präventiv alle pathologisiert, denen es möglicherweise beim Kotau vor dem Arbeitsgott an letzter Entschlossenheit fehlt.
Entgegen aller menschlichen Logik entpuppt sich die Arbeit gerade in ihrem Tod als totalitäre Macht. Es wird kein Aufwand gescheut, um das Leben des Arbeitsgötzen künstlich zu verlängern. Anstatt unsere Lebens- und Reproduktionsweise zu verändern, anstatt einen Paradigmenwechsel in Angriff zunehmen, halten wir die Türen und Fenster der Irrenanstalt, die unsere Welt geworden ist, von innen fest verriegelt.
Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung
Eine zentrale Rolle bei der zwanghaften Simulation von Vollbeschäftigung spielt eine irre Anstalt der besonderen Art: das Arbeitsamt. Heute gibt es von den Arbeitslosenverwaltern statt Jobs Durchhalteparolen. Durchhalteparolen wie in einem Krieg, der längst verloren ist. Wer glaubt denn wirklich, dass die Arbeitslosen wegzuphantasieren seien? Wer glaubt denn wirklich, dass die Arbeit noch zu retten, also das Rad der Geschichte zurückzudrehen sei?
Wozu dient also die massenhafte staatliche Vernichtung von finanziellen und personellen Ressourcen, genannt Maßnahmen? Als Ersatzhamsterrad, als höchst merkwürdiger Wirtschaftsfaktor, als Mittel zur „richtigen“ Statistik zu gelangen, und vor allem als Druckmittel und Gehirnwäsche für die Nicht-Subjekte, also jene, die keine „ordentlichen“ Mitglieder der Leistungsgesellschaft sind. Wir halluzinieren intakte Ausbeutung!
Bei der Polizei gibt es Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung (vgl. die Definition im Vorspann dieses Artikels). Sehen die vom AMS verordneten Maßnahmen nach all dem Aufgezeigten nicht ebenfalls frappant nach Gefahrenabwehr und Strafverfolgung aus? Warum werden Arbeitslose tendenziell kriminalisiert und gegen ihren Willen (mitunter gar illegalen) Maßnahmen unterzogen? Weil eine Million Arbeitslose und Working poor durchaus zur Gefahr für das System werden könnten? Steckt man sie deshalb vorbeugend in freiheitsentziehende Maßnahmen? Im Gesetzesdeutsch Österreichs heißt das „Maßnahmenvollzug“, in Deutschland „Sicherungsverwahrung“.
Anmerkungen
1 Zitat vom legendären „Bewerbungs-Impulstag“, den jahrelang alle Arbeitslosen in Wien zu Beginn ihrer Arbeitslosigkeit jeweils mit über 500 anderen im Messe-Kongresszentrum am Rande des Wiener Wurstel-Praters zu absolvieren hatten (vgl. Wölflingseder, Maria, 2005a).
2 Vgl. Lohoff, Ernst (2007): Unser blaues Jobwunder. In: Streifzüge Nr. 40, S. 3, www.streifzuege.org.
3 Ausführliche Berichte über Maßnahmen in: Wölflingseder, Maria, 2005a; Werner, Christine, 2007; sowie auf www.soned.at; www.wettinfo.co.at/AMS_Kurs.htm; www.bildungsmafia.at.
4 Entscheide des Verwaltungsgerichtshofes finden sich auf www.arbeitslosensprecherin.at, www.arbeitslosennetz.org. Der Gruppe „ArbeitslosensprecherIn“ und dem Wiener Rechtsanwalt Dr. Werner Pochieser sei für ihre jahrelangen unentgeltlichen Bemühungen gedankt.
5 www.volksanw.gv.at/i_berichte.htm
6 Zur Arbeitskritik vgl. Lohoff, Ernst, u.a. (Hg.) (2005); Manifest gegen die Arbeit (1990), sowie www.krisis.org, www.streifzuege.org.
Literatur
Becker, Jörg (2006): Über die Verarmung der Eliten. In: „Land der Hämmer – Zukunftsreich?“, herausgegeben von der Gruppe „unicum:mensch“, www.unicummensch.org.
Geißler, Karl-Heinz (2004): Bildung und Einbildung. In: schulheft Nr. 116, a.a.O.
Iro, Wolfgang (2005): Maßnahmen zur Re-Integration arbeitsloser Problemgruppen in den ersten Arbeitsmarkt – Dilemmata, Paradoxien und Transintentionen bei der Umsetzung eines unmöglichen Ziels aus der Perspektive der „Inklusionsarbeit“, Magisterarbeit im Hauptfach Soziologie, der FernUniversität Hagen.
Lohoff, Ernst / Trenkle, Norbert / Lewed, Karl-Heinz / Wölflingseder, Maria (Hg.) (2005): Dead Men Working. Gebrauchsanweisungen zur Arbeits- und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs, Münster, 2. Auflage.
Manifest gegen die Arbeit (1990), hg. von der krisis Nürnberg, auch auf www.streifzuege.org oder dort zu bestellen.
Orthey, Michael (2004): zwielichtiges lernen. In: schulheft Nr. 116, a.a.O.
schulheft Nr. 116/2004: Pädagogisierung – Die Kunst, Menschen mittels Lernen immer dümmer zu machen, hg. von Ribolits, Erich und Zuber, Johannes.
Werner, Christine (2007): Arbeitslosenpolizei, erscheint demnächst bei edition uhudla A, Wien.
Wölflingseder, Maria (2005a): „Eine Umschulung Richtung IT oder Wirtschaft! Sonst geht’s nur bergab!“ – Phänomenale Erlebnisse einer arbeitslosen Geisteswissenschaftlerin. In: Dead Men Working, a.a.O.
Wölflingseder, Maria (2005b): „Je mehr Magenschmerzen, desto süßer lächeln sie“ – Positives Denken – vom Esoterik-Ideologem zum klassischen Gleitmittel. In: Dead Men Working, a.a.O.
Zahlreiche Artikel zum Thema Arbeit / Arbeitslosigkeit in der Zeitschrift Streifzüge: www.streifzuege.org, und auf www.krisis.org.
Maria Wölflingseder, geb. 1958, Dr. phil., Erziehungswissenschaftlerin in Wien, Arbeitsschwerpunkte: Esoterik- und Arbeitskritik. „Überqualifizierte“ Arbeitslose, „geringfügige“ Publizistin, „ehrenamtliche“ Redakteurin der Zeitschrift Streifzüge (www.streifzuege.org) sowie Lyrikerin und Belletristik-Rezensentin.
Wenn der Artikel nachgedruckt werden will, bitte rückfragen bei: Maria Wölflingseder, Anton-Scharff-Gasse 6/13, 1120 Wien, Tel. 01/ 810 60 22, m.woelf at utanet.at
24.09.2007
Kolumne Dead Men Working
In: Streifzüge Nr. 41/ November 2007
Zwangsarbeit ante portas
von Maria Wölflingseder
Wer früher ohne Job war, war ein Versicherungsfall und wurde am Arbeitsamt wie ein Versicherungskunde behandelt – im Großen und Ganzen höflich, zuvorkommend, jedenfalls ohne Repressalien. Heute aber – wo sich das Arbeitsamt Arbeitsmarktservice (AMS) nennt und die Arbeitslosen großspurig als „Kunden“ tituliert werden, begegnet man ihnen als Schuldigen, die zur Räson gebracht werden müssen. Die Pädagogisierungsmaschinerie wurde hochgefahren. Das Arbeitsmarktservice gebärdet sich in der Tat wie eine Institution Schwarzer Pädagogik denn wie eine Service-Einrichtung. Die Zwangsbehandlungen laufen auf Hochtouren. Die Ausgaben der „aktivierenden Arbeitsmarktpolitik“ haben sich von ca. 120.000 Euro im Jahr 1999 auf jährlich ca. 900.000 Euro seit 2005 erhöht.
Die menschenverachtende, zynische Bartensteinsche Lügenpropaganda über die kontinuierlich stark sinkenden Arbeitslosenzahlen, die monatlich via ORF hinausposaunt wird, geht gelegentlich sogar einer Landesorganisation der ansonsten sehr schweigsamen Arbeiterkammer zu weit. Die AK Oberösterreich ließ das Wirtschaftsforschungsinstitut diese offensichtlich völlig irrealen Zahlen prüfen. Dieses kam sogleich auf ein Drittel mehr. Allerdings rechnete man auch dort jene nicht mit, die Arbeit suchen, aber nicht arbeitslos gemeldet sind, da sie keinen Anspruch haben, weil der Partner zu viel verdient oder sie selbst noch nie arbeitslosenversichert waren. Das sind noch einmal 120.000. Insgesamt also 440.000 anstatt der offiziellen 204.840. Nicht berücksichtigt ist in dieser Zahl außerdem noch, dass sehr viele Beschäftigte als Notlösung nur Teilzeitjobs haben, von denen sie nicht leben können. Weiters werden Präsenz- und Zivildiener sowie Karenzierte als Beschäftigte gezählt. (Vgl. http://oesterreich.orf.at/stories232990/ vom 2.11.2007) Und dann wären da noch rund 100.000 Menschen, die überhaupt nicht sozialversichert sind. Sie scheinen in keiner Statistik auf.
Per 1. Jänner 2008 werden mit dem in Kürze zu novellierenden Arbeitslosenversicherungsgesetz auch in Österreich Verhältnisse etabliert werden, die den deutschen Maßnahmen Hartz IV ähneln. Außerdem gibt es bereits ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs, das Arbeitslose, die um Berufsunfähigkeits- bzw. Invalidenpension angesucht haben, in den sechs Monaten bis zur Genehmigung oder Ablehnung nicht aus den Fängen des AMS entlässt, sondern diese müssen währenddessen weiterhin dem Arbeitsmarkt, sprich dem AMS, zur Verfügung stehen. Ein Novum in der Politik des VwGHs, der bis dato in seinen Urteilssprüchen dem AMS, vor allem was die zahllosen Sperren der Unterstützung und die Zuteilung zu Maßnahmen betrifft, schlicht Gesetzesbruch bescheinigt hat.
Früher bestand die jährliche Maßnahme in einem sechswöchigen Einzelcoaching, das einmal wöchentlich für 90 Minuten zu besuchen war. Das reicht laut Gesetz, damit aus Langzeitarbeitslosen wieder frische Kurzzeitarbeitslose werden. Mit diesem Winkelzug gibt es zur Zeit nur 5.800 Langzeitarbeitslose, aber 45.000 Langzeitbeschäftigungslose – letztere sind für die Vorgaben der EU-Politik jedoch irrelevant. Eine weitere Finte: Unter 50-Jährige werden nach 12 Monaten als langzeitarbeitslos bezeichnet, über 50-Jährige, weil es davon viel zu viele gibt, schon nach 6 Monaten – wohl um diese öfter zwangsbehandeln zu können.
Heuer aber begnügte man sich nicht mehr mit Schmalspur-Maßnahmen. Es gibt ja genug Geld, um es den Kursinstituten in den Rachen zu stopfen, und so liegt das Zeitminimum bei der Maßnahme nun bei fünf Wochen mit werktäglich fünf Stunden, das Maximum bei zwölf Wochen ganztags. Während vielen beim AMS gesagt wird, Fachkurse, Sprachkurse etc. gebe es zur Zeit überhaupt nicht, bekommen andere solche sehr wohl. Das heißt, trotz der Direktiven von oben sind die Arbeitslosen nach wie vor weitgehend der Willkür der einzelnen Betreuer ausgeliefert. So kommt es umgekehrt auch vor, dass Langzeitarbeitslose gar nicht in die übliche jährliche oder halbjährliche Maßnahme geschickt werden.
In eine Maßnahme gesteckt zu werden, ist auch für die geübtesten Reflektierten und Distanzierten jedes Mal von Neuem ein Erlebnis, das einem nach anfänglicher Belustigung in eine depressive Verstimmung versetzt. Außer Diebstahl an Lebenszeit haben Maßnahmen auch gewisse Pikanterien zu bieten. Demonstration am eigenen Beispiel: Letztes Jahr wurde ich bei der „Gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung Job-TransFair“ mangels passender Jobangebote nicht aufgenommen. Dieses Jahr aber hat die Geschäftsführerstellvertreterin für mich aufs richtige Pferd gesetzt. Beim Recruiting des „Personalservice itworks“, einer der größten Institutionen, durch die möglichst viele Arbeitslose geschleust werden, wurde ich wie von einem Headhunter umworben. Von den mir so schmackhaft gemachten zahlreichen Jobangeboten, von denen sonst niemand wisse, habe ich aber während des Kurses kein einziges zu Gesicht bekommen. Fünf Wochen lang pilgerte ich von Meidling in die Brigittenau, um dort im offenen Strafvollzug des AMS meine täglichen fünf Stunden abzusitzen. Und zwar akkurat in jenes Gebäude, in dem ich anno dazumal – lang, lang ist’s her – in den Redaktionen der Volksstimme, der Stimme der Frau und von Weg und Ziel meine Artikel ablieferte. Im altehrwürdigen Haus der KPÖ, im Schütte-Lihotzky-Trakt – benannt nach der über 100 Jahre alte gewordenen Architektin des Hauses residieren nämlich nun unter anderem „itworks“ und die „ÖSB Consulting GmbH“. Erstere eine Tochterfirma letzterer. Die „ÖSB Consulting GmbH“ wurde übrigens Ende der Siebziger Jahre von Karl Zehetner als „Österreichische Studien- und Beratungsgesellschaft“ gegründet, um selbstverwalteten Betrieben mit betriebswirtschaftlichem Rat zur Seite zu stehen. Daraus ist nun stinknormales Business geworden – von Gesellschaftskritik nicht ein einziges Molekül übrig geblieben.
In unserer, „Wake up-Workshop“ genannten, Maßnahme fehlten allerdings oft die Weckrufer. In der ersten Woche war die Trainerin auf Urlaub. Notdürftig versorgte uns der Kundenbetreuer, aber stundenlang saßen wir wartend, ohne zu wissen, was überhaupt passieren soll. Zwei bis zweieinhalb Stunden täglich wurden wir aber ohnehin nur vor die Glotze gesetzt, um online Jobs zu suchen und uns zu bewerben – in einem engen, stickigen Raum mit 25 PCs. „itworks“ will bzw. braucht offenbar gar nicht einmal den Schein von Professionalität erwecken. So großes Chaos, so viel Inkompetenz und Wurstigkeit, so eklatante Widersprüchlichkeit haben auch die erfahrensten Maßnahmen-Hopper noch nicht erlebt. Aber soll man sich beschweren? Ist das größte Zeittotschlagen nicht noch das kleinere Übel gegenüber der Alternative Zwangspädagogisierung durch dilettantische TrainerInnen, die – wir „Kunden“ waren einhellig der Meinung – draußen am freien Markt nicht die geringste Chance hätten.
Unsere Betreuerin setzte auf die bewährte Zuckerbrot-und-Peitsche-Methode. Sie teilte unsere teilweise horrenden Erfahrungen am AMS voll und ganz, hätschelte und bedauerte uns, weinte sich ihrerseits bei uns aus – auch sie war lange arbeitslos –, um im selben Atemzug fortzufahren: „Wer arbeitslos ist, macht etwas falsch!“ „Vielleicht wenden Sie die falsche Strategie an.“ „Da zu 75 Prozent der persönliche Eindruck bei einem Vorstellungsgespräch darüber entscheidet, ob man einen Job bekommt, muss Ihr Selbstwertgefühl und Ihre soziale Kompetenz brillieren. Andernfalls müssen Sie an sich arbeiten. Das kann mitunter ein jahrelanger Prozess sein.“ „Wenn Sie depressiv geworden sind, weil sie noch immer keinen Job gefunden haben, müssen Sie psychotherapeutische Hilfe aufsuchen, ansonsten finden Sie gar keinen Job mehr.“ – Das heißt, wenn also die Pädagogisierung nicht mehr ausreicht, tritt die Psychiatrisierung auf den Plan. Jede Abweichung von der Norm wird als krank bezeichnet (vgl. Anna Mitgutsch: Gnadenloses Wohlbefinden, in: Der Standard, 6./7. Okt. 2007, S. 38). Insbesondere wird schließlich Gesellschaftskritik psychiatrisiert. Dieses Resümee zog auch Günter Wallraff über sein Leben in den „Menschenbildern“ (Radio Ö1, 4. Nov. 2007).
In unserem Kurs folgte eine kleine Vorlesung zum Thema „Ziele“ aus dem Buch „Mit NLP zum politischen Erfolg“, einem Ratgeber für Politiker (ÖGB Verlag von Hebenstreit, Mernyi, Niedermair, 4. Aufl. 2006). „Misserfolg ist nur ein verkleideter Erfolg! An den Erfolg glauben! Misserfolg gibt es nicht! Das Ziel muss sinn-voll (sinnlich) sein.“ In jedem Kurs wird einem Abraham Lincoln als Vorbild vor Augen gehalten, dessen Weg zum Präsidentenamt jahrzehntelang mit den größten privaten und beruflichen Misserfolgen und Tragödien gepflastert war. Zwei Blätter mit Fragen mussten wir beantworten, darunter: „Was ist Ihr Ziel? Was wollen Sie erreichen? Wo wollen Sie hin? Was ist Ihr Traum? – Wenn Sie das Ziel erreicht haben: Wie sieht es aus? Wenn Sie das Ziel erreicht haben: Was hören Sie? Wenn Sie das Ziel erreicht haben: Wie fühlt es sich an? Wenn Sie das Ziel erreicht haben: Wie riecht es, was schmecken Sie?“ – Die fehlende Sinnlichkeit im Leben wird einfach herbeihalluziniert, in ein Job-Gespinst hineinhalluziniert.
Nur nicht aufgeben! Jobsuchen ist ein Fulltimejob! Und die Zeit für Weiterbildungen nützen! So war auch die Berufsberatung beim bfi nichts als PR für die hauseigenen Kurse. Die Beratung beim BIZ (Berufsinformationszentrum des AMS) bestand in der Darreichung der entsprechenden Kataloge mit dem vielversprechenden Titel „Jobs für die Zukunft“. Im Kleingedruckten war allerdings bei vielen Berufen vermerkt, der Markt sei gesättigt oder in Österreich gebe es kaum derartige Stellen.
Von den 23 KursteilnehmerInnen haben gerade einmal drei einen Job bekommen – mehr oder weniger Hilfsarbeiterjobs. – Eines ist „itworks“ allerdings zu Gute zu halten: Arbeitslose müssen sich nicht, wie vom AMS verlangt, in völlig berufsfremden Branchen bewerben. Ansonsten aber werden die Anforderungen des AMS blindlings erfüllt. Hauptsache möglichst viele Kunden sitzen ihre Zeit kostengünstig – sprich mit wenigen TrainerInnen – ab, weil es sich ansonsten für die Kurs-Firma nicht rechnet.
Mit gelegentlicher Ausnahme der Betroffenen fragt niemand, was wer davon hat, wenn
Arbeitslose massenhaft zwangsbehandelt und untertags kaserniert werden. Die Sinnhaftigkeit der beruflichen Tätigkeit zu hinterfragen, scheint überall auf Null gesunken zu sein. Beängstigend, wie Menschen sich unterordnen unter ein System, wie sie all ihr Können und ihre Fähigkeiten dazu nutzen, etwas zu tun, das sie aus freien Stücken nie tun würden. Die Diktatur unserer ganz normal demokratischen Marktwirtschaft bewegt sie dazu. Die Richtung des Denkens ist heute strikt vorgegeben. Gedacht soll nur werden, was nützlich im Sinne einer höchst bedrohlich gewordenen Verwertbarkeit ist. Ob der Mitarbeiter der Kreativwirtschaft das gemeint hat, als er den Werbeslogan „Mehr Raum für neues Denken“ anlässlich der Fertigstellung des Gebäudes der „schwarzen“ Bildungsinstitution WIFI (Wirtschaftförderungsinstitut der Wirtschaftskammer) entwarf, durch dessen „Tor“ man „zum Olymp des Erfolgs“ gelangt? – Das „rote“ Pendant bfi (Berufsförderungsinstitut der Gewerkschaft und der AK) setzt in seiner Werbestrategie einmal mehr auf die Sinnlichkeit: „Entdecken Sie die Lust am Lernen!“ Und die VHS verspricht schließlich: „Fit durch Weiterbildung“, insbesondere für 50 plus ein Muss.
Wenn all die Maßnahmen, die zahlreichen (oft völlig illegalen) Sperren des Bezugs, der Zwang zum Lebenslangen Lernen und die anderen Methoden, Arbeit zu simulieren, wo es nichts mehr zu arbeiten gibt, weil die Form unseres Wirtschaftens in der Irre gelandet ist, nicht mehr ausreichen, dann wird Zwangsarbeit verfügt. Der neue Gesetzesentwurf sieht u.a. Folgendes vor: Arbeitslose werden gezwungen, Betreuungseinrichtungen und Personalvermittlern zur Verfügung zu stehen und Jobs mit sämtlichen freien Verträgen anzunehmen; Mindestlohn oder Kollektivvertrag muss keiner mehr bezahlt werden. Diese reichen nicht zum Leben und liegen oft unter dem Niveau der Notstandhilfe. Die Arbeitslosen werden also zur billigen und willigen Reservearmee der Wirtschaft. Weiteres wird die Feststellung der Arbeitswilligkeit auf die Dienstleister ausgelagert, was der Willkür Tür und Tor öffnet und Rechtsmittel gegen die Sperre der Unterstützung werden praktisch unmöglich. In Hinkunft muss auch für einen Teilzeitjob eine tägliche Fahrzeit von vier Stunden in Kauf genommen werden. Und schließlich können alle Langzeitarbeitslosen zu gemeinnütziger Arbeit gezwungen werden.
Es gibt kaum einen gesellschaftlichen Bereich, der dermaßen der kollektiven Verdrängung und Verleugnung unterliegt wie Arbeit, Arbeitslosigkeit, der Umgang mit Arbeitslosen und überhaupt die komplette Durchgeknalltheit, mit der auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen reagiert wird. Haben wir nicht die Rationalisierung der notwendigen Tätigkeiten seit Menschengedenken angestrebt? Jetzt sind wir endlich so weit, dass alle Menschen auf der Erde mit geringem Aufwand gut versorgt werden könnten. Bildung oder die Sorge um Kinder, Kranke und alte Menschen und vieles andere kann jedoch nicht rationalisiert werden. Genauso große Blödigkeit ist es, diese Bereiche zu kommerzialisieren. Aber daraus Konsequenzen zu ziehen, liegt so weit außerhalb des gesellschaftlich verordneten Denkhorizonts wie die nächste Galaxie.
André Kaminski lässt in seinem grandiosen Roman „Nächstes Jahr in Jerusalem“ (1986) seine junge Heldin Malwa am 12. Dezember 1913 anlässlich der „unbeschreiblich dürftigen Gedanken“ ihres Verehrers, eines untertänigen Offiziers der k.u.k. Monarchie, ins Tagebuch schreiben: „Ich bin bald zweiundzwanzig und weiß nun mit Gewissheit, dass man entweder gegen den Strom denkt oder überhaupt nicht.“