Schritt für Schritt wird das Ärztegeheimnis ausgehöhlt – stehen Patienten und Patientenanwälte auf verlorenen Posten? – die Öffentlichkeit wird mit Fehlinformationen zu ELGA gefüttert – Therapie gegen Daten, der neue Deal im Gesundheitswesen
AMS Nutzung von Gesundheitsdaten
Diese Woche ging ein gewaltiges Rauschen durch den Medienwald. Die Zugriffe des AMS auf Gesundheitsdaten waren ein Top-Thema. ARGE DATEN News-Bezieher hatten es besser. Schon im August 2006 berichteten wir über den Fall und den unzureichenden Schutz der Privatsphäre.
Doch der AMS-Vorfall bietet nur einen kleinen Vorgeschmack, was uns mit ELGA, dem elektronischen Gesundheitsakt blüht. Derzeit ist ELGA nur eine Bürokraten-Blase, untermauert durch eine Machbarkeitsstudie von Informationstechnikern, die – welche Überraschung – feststellen, dass ELGA informationstechnisch machbar ist.
Von den Politikern wird derzeit ELGA geradezu generalstabsmäßig in den Medien gepusht, „Zug abgefahren“ und „EU verlangt es“ sind die bekannt alten Argumente um den Boden für die Einführung aufzubereiten.
Die Einführung von ELGA erinnert mehr und mehr an psychologische Kriegsvorbereitung, wo zuerst durch verschiedenste, teilweise widersprechende Meldungen und einem Informations-Overflow Verunsicherung und Verängstigung erzeugt werden soll, damit dann die „Lösung“, die Schluss mit Irritation und Orientierungslosigkeit macht, aus dem Hut gezaubert werden kann.
Schritt für Schritt wird das Ärztegeheimnis ausgehöhlt
Tatsache ist aber, dass ELGA nur ein weiterer Schritt in der systematischen Aushöhlung der Ärzte-Patienten-Vertraulichkeit ist. Schon jetzt erlauben „überwiegende Interessen“ der Kassen oder andere gesetzliche Bestimmungen den Vollzugriff auf die Patientendaten (zumindest wenn die medizinische Leistung durch Privat- oder Sozialversicherung bezahlt wird).
Vieles geschieht heute noch mit freiwilliger Zustimmmung des Patienten. Freiwillig entbindet er den Arzt vom Ärztegeheimnis gegenüber den Sozialämtern (sonst bekommt er keine Sozialhilfe), freiwillig gibt er Gesundheitsdaten beim AMS bekannt, auch wenn sie gar nichts mit seiner Jobsuche zu tun haben (sonst wird sein Arbeitslosenbezug gesperrt), freiwillig gibt er den Versicherungen eine Generallvollmacht auf Zugriff auf alle medizinische Daten (sonst erhält er keine Versicherung), freiwillig unterzieht er sich beim Vertrauensarzt der Bank einem medizinischem Check (sonst erhält er keinen Kredit), freiwillig erlaubt er bei der Stellenbewerbung dem Betriebsarzt Auskünfte bei Spitälern und Ärzten einzuholen (sonst klappts nicht mit dem Job).
Uns wird ganz schwindlig vor lauter Freiwilligkeit, die ja in Zukunft durch den freiwillig eingeräumten Zugriff auf ELGA noch vereinfacht wird. Ganz easy.
Freiwillig ist nicht genug
Doch auch mit dieser „Freiwilligkeit“ wird früher oder später Schluss sein. Einen Vorgeschmack liefert die jüngste Verordnung zur Suchtmitteltherapie. Ausstiegswillige Suchtkranke müssen eine Reihe von Bedingungen erfüllen, damit sie behandelt werden. Darunter – richtig geraten – auch die Entbindung vom Ärztegeheimnis. Therapie gegen Daten, der neue Deal im Gesundheitswesen.
Was heute bei einer Randgruppe getestet wird, wird früher oder später Standard werden. Arztbesuch? Ja, natürlich, aber nur ohne Ärztegeheimnis.
Öffentlichkeit wird mit Fehlinformationen zu ELGA gefüttert
ELGA, so verlautbaren die Politiker, soll nur für Gesundheitsdienstanbieter zugänglich sein. Nur für Ärzte und Spitäler apportieren eifrig die Medien und die Politik schweigt zufrieden. Botschaft angekommen, Desinformation geglückt.
Zugang erhalten jedoch alle Gesundheitsdienstanbieter nach dem Gesundheitstelematikgesetz. Und dort steht, mehr als schwammig, Gesundheitsdienstanbieter sind „Auftraggeberinnen/Auftraggeber und Dienstleisterinnen/Dienstleister gemäß DSG 2000, deren regelmäßige Verwendung von Gesundheitsdaten Bestandteil ihrer Erwerbstätigkeit, ihres Betriebszwecks oder ihres Dienstleistungsangebotes ist.“ (§2 Z2 Gesundheitstelematikgesetz, GTG)
Was das bedeutet, lässt sich erst erahnen, wenn man die Definition für Gesundheitsdaten ansieht. Medizinische Daten fallen genauso darunter, wie Verrechnungsdaten, Versicherungsdaten, Angaben zu Umwelteinflüssen, Lebensgewohnheiten, Arzneimittel, Diagnose-, Therapie- oder Pflegemethoden: alle personenbezogenen Daten „über die physische oder psychische Befindlichkeit eines Menschen, einschließlich der im Zusammenhang mit der Erhebung der Ursachen für diese Befindlichkeit sowie der medizinischen Vorsorge oder Versorgung, der Pflege, der Verrechnung von Gesundheitsdienstleistungen oder der Versicherung von Gesundheitsrisken erhobenen Daten.“ (§2 Z1 GTG)
Alle Einrichtungen, die mit diesen Daten zu tun haben, und sei dies nur als Dienstleister für einen Gesundheitsberuf, sollen als Gesundheitsdienstanbieter Teilnehmer am ELGA-System werden.
Das sind Ärzte, Spitäler und Labors, inkl. Amtsärzte, Betriebsärzte oder Schulärzte, aber auch alle Sozial- und Privatversicherungen, alle Krankenhauserhalter (meist die Bundesländer), alle Aufsichts- und Kontrollstellen dieser Einrichtungen, inkl. Gesundheitsagentur und Gesundheitsministerin als oberste Kontrollstelle, aber auch alle Apotheken, Lieferanten und Hersteller von Heilbehelfen, weiters Pharmafirmen oder auch jene Firmen, die den elektronischen Datenaustausch organisieren und Softwarefirmen die die Ärzte- und Spital-Software bereitstellen. Selbst Aufsichtsstellen und Behörden, wie das Arbeitsinspektorat, das AMS, die Sozialhilfestellen oder auch mobile Betreuungsstellen hätten nach dieser Definition Anspruch auf Zugang, weiters Umweltschutzbehörden, …
In allen Fällen ist die regelmäßige Verwendung von Gesundheitsdaten gemäß obiger Definition Bestandteil der „Erwerbstätigkeit, des Betriebszwecks oder des Dienstleistungsangebotes“.
Patienten erfahren nicht, wer Gesundheitsdienstanbieter sind
Damit sich Patienten nicht allzuviel Kopfzerbrechen über die Stellen machen müssen, die auf ihre Daten zugreifen können, wird das Register der Gesundheitsdienstanbieter nicht öffentlich zugänglich sein. ELGA quasi als Geheimbund mit weit über 100.000 Teilnehmern. Wie groß wird die Versuchung sein legal oder auch illegal in den Gesundheitsdaten zu stöbern.
Die Erfahrungen mit Polizeibeamten, die mit EKIS-Daten Freundschaftsdienste erledigen oder mit Spitalspersonal, das bei prominenten Patienten virtuelles Patientenschaun betreibt, lassen Böses befürchten.
Stehen Patienten und Patientenanwälte auf verlorenen Posten?
Noch nicht wirklich, es gilt jedoch den Anfängen zu wehren. Auch viele, durchaus technophile Ärzte stehen dem Monstrum ELGA skeptisch gegenüber. Manche erinnern sich noch an die Heilsversprechungen rund um die Medcard (jetzt e-Card) mit der alle Ärzte auf alle medizinischen Daten Zugriff haben sollten, vor nunmehr 18 Jahren wurde dieses Projekt vorgestellt, geworden ist bloß ein Nachweissystem, dass man versichert ist.
Die Vermeidung von Doppelbefundungen, Datenaustausch zwischen Labor und Ärzten, Vermeidung von Fehlmedikamentation usw. wird auch heute schon in vielen Fällen gelebt, zumindest dort wo die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten stimmt und Technik im notwendigen Ausmaß eingesetzt wird.
Der elektronische Datenaustausch funktioniert auch heute schon, jedoch abseits von der Gesundheitsbürokratie.
Apropos ELGA
Warum eigentlich ELGA? Der elektronische Gesundheitsakt? Wer gesund ist, hat ja bekanntlich keine Einträge bei Arzt oder Spital. Es müsste doch Elektronische Kranken-Evidenz-Liste heißen, geht es doch um eine Liste, die alle bisher aufgezeichneten Arzt- und Spitalsaufenthalte und deren Daten zu Krankheitsvorfällen, Diagnosen und Therapien verwaltet. Aber EKEL klingt ja doch zu entlarvend.
Quelle: argedaten.at