Gerichtstyp VwGH Erkenntnis
Geschäftszahl 2004/08/0148
Entscheidungsdatum 2006 02 15eBs
Veröffentlichungsdatum 2006 03 15
Norm
AlVG 1977 §10 Abs1 Z1;
AlVG 1977 §10 Abs1 Z3;
AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §7;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2;
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden
Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer,
Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der
Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der P in K,
vertreten durch Dr. Elisabeth Hrastnik, Rechtsanwältin in
7400 Oberwart, Hauptplatz 11, Top 16 A, gegen den auf Grund eines
Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten
ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des
Arbeitsmarktservice Burgenland vom 31. März 2004, Zl. LGS-
Bgld./IV/1241-2/2004, betreffend Verlust des Anspruches auf
Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge
Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der
Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen
zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die 1969 geborene Beschwerdeführerin, eine AHS-Absolventin, war in
der Zeit vom 27. Dezember 1988 bis 30. Juni 2001 mit einer kurzen
Unterbrechung als Vertragsbedienstete bei der
Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das
Burgenland beschäftigt. Seit 6. Juli 2001 bezieht sie mit
Unterbrechungen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, seit
dem 8. Februar 2002 Notstandshilfe.
Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde in
Abweisung der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen
Berufung aus, dass die Beschwerdeführerin den Anspruch auf
Notstandshilfe gemäß § 38 in Verbindung mit § 10 AlVG für die Zeit
vom 10. November 2003 bis 21. Dezember 2003 verloren habe, weil
sie eine angebotene Beschäftigung nicht angenommen habe.
Anlässlich ihrer Arbeitslosenmeldung habe sie mitgeteilt, dass sie
sich im Gesundheitswesen, nämlich in den Bereichen
„Vollwerternährung für Schulkinder oder Morgengymnastik für
Jugendliche“ selbständig machen wolle. Diesen Plan habe sie bisher
nicht realisiert. In dem von der Beschwerdeführerin erlernten bzw.
bisher jahrelang ausgeübten Beruf bestünden – aus näher
ausgeführten Gründen – keine Vermittlungschancen.
Bereits im Februar 2003 sei sie im Hinblick auf eine mögliche
Beschäftigung beim Verein „Mama’s Küche“ über die Art der
Beschäftigung und über die Ziele des Vereins informiert worden. Es
handle sich um ein vom Arbeitsmarktservice unterstütztes Projekt,
welches das Ziel habe, langzeitarbeitslose Personen wieder
„jobready“ zu machen. Diese Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt
erfolge in Form eines Dienstverhältnisses. Die Arbeitskräfte
würden in ein auf ein Jahr befristetes Dienstverhältnis treten und
in den Bereichen „Küche, Organisation, Zustellung, etc.“ tätig
sein. Daneben erfolge auch eine „sozialpädagogische Betreuung“,
sodass zumindest nach der Beendigung dieses Arbeitsjahres die
Vermittlungschancen dermaßen steigen würden, dass die Erlangung
eines Arbeitsverhältnisses auf dem freien Arbeitsmarkt erleichtert
werde. Weiteres Ziel dieser „Maßnahme“ sei die Steigerung der
Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme und die „Erarbeitung neuer
Berufsmöglichkeiten und einer neuen Betrachtungsweise des freien
Arbeitsmarktes, sodass die Erfolgschancen, nach langer Abwesenheit
am Arbeitsmarkt neuerlich in der Berufswelt Fuß zu fassen,
gesteigert werden“. Durch die Mitarbeit beim Verein „Mama’s Küche“
werde ein Wiedereinstieg in den von der Beschwerdeführerin bisher
ausgeübten Beruf nicht erschwert. Sie habe ihre Tätigkeit für die
Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das
Burgenland beendet, um im Gesundheits- und Ernährungsbereich
selbständig zu arbeiten. Dieser Bereich sei auch Thema des
Vereins, bei dem ihr die Möglichkeit geboten werde, ihr Wissen
über eine gesunde Ernährungsweise weiterzugeben. Ihrem Einwand,
sie sei strikte Vegetarierin und könne mit Fleisch nicht umgehen,
sei zu entgegnen, dass Fleisch „bei ganzheitlicher Sicht der
Ernährungsformen“ als wichtiger Bestandteil der
Nahrungsmittelkette anzusehen und für viele Menschen auch aus
gesundheitlicher Sicht aus der täglichen Ernährung nicht
wegzudenken sei. Dies sei auch bei der Ernährungsberatung in
Betracht zu ziehen. Die Beschwerdeführerin hätte durch Beistellung
ihres Wissens einen wesentlichen Beitrag in die Richtung „gesunder
Ernährung“ liefern können. Mit der Handhabung von Fleisch für die
Zubereitung von Mahlzeiten wäre „kein Verstoß gegen die
Sittlichkeit oder Ethik entstanden“, zumal die Beschwerdeführerin
nicht genötigt gewesen wäre, ihre eigenen Anschauungsweisen zu
ändern. Die Beschwerdeführerin sei von der regionalen
Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberwart (AMS) über ihre
künftige Tätigkeit unterrichtet worden. Ihr sei mitgeteilt worden,
dass es sich um eine längstens für ein Jahr befristete Arbeit
handeln würde und eine Aufnahme dieser Beschäftigung erfolgen
könne, sobald dort eine Mitarbeiterin ausscheide. Auf Grund einer
schriftlichen Einladung des AMS habe sich die Beschwerdeführerin
am 5. November 2003 beim Verein „Mama’s Küche“ beworben. Die
Beschwerdeführerin habe an der angebotenen Stelle kein Interesse
gezeigt. Sie habe zu verstehen gegeben, dass sie für die Tätigkeit
überqualifiziert wäre und die Stelle nicht annehmen würde. Sie
würde ihr Haus renovieren und auf einer Baustelle leben.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die
Beschwerdeführerin könne in eine andere Sparte vermittelt werden,
weil durch die Ausübung der berufsfremden Tätigkeit eine Rückkehr
in den erlernten oder jahrelang ausgeübten Bereich nicht
wesentlich erschwert oder unmöglich gemacht werde. Das Verhalten
der Beschwerdeführerin sei als Arbeitsverweigerung im Sinne der
gesetzlichen Bestimmungen zu qualifizieren.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des
Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von
Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem
Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens
vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die
kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Dem angefochtenen Bescheid haftet eine im Rahmen des
Beschwerdepunktes von Amts wegen aufzugreifende Rechtswidrigkeit an:
Die belangte Behörde hat ihren Bescheid damit begründet, dass
die Beschwerdeführerin eine ihr angebotene, zumutbare
Beschäftigung nicht angenommen habe. Auf Grund der Feststellungen
des angefochtenen Bescheides kann jedoch nicht abschließend
beurteilt werden, ob die regionale Geschäftsstelle der
Beschwerdeführerin eine Beschäftigung (§ 10 Abs. 1 Z. 1 AlVG) oder
die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den
Arbeitsmarkt (§ 10 Abs. 1 Z. 3 AlVG) zugewiesen hat. Die
Voraussetzungen für die Zuweisung zu einer zulässigen Maßnahme
sind andere als die für eine Zuweisung zu einer Beschäftigung.
Bei der im vorliegenden Fall zugewiesenen „Beschäftigung“
soll es sich um ein vom Arbeitsmarktservice unterstütztes Projekt
handeln, welches das Ziel habe, langzeitarbeitslose Personen
wieder „jobready“ zu machen. Die Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt
erfolge „in Form eines Dienstverhältnisses“. Die Arbeitskräfte
würden in den Bereichen „Küche, Organisation, Zustellung, etc.“
tätig sein. Daneben erfolge auch eine „sozialpädagogische
Betreuung“. Ziel dieser „Maßnahme“ sei die Steigerung der
Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme und die „Erarbeitung neuer
Berufsmöglichkeiten und einer neuen Betrachtungsweise des freien
Arbeitsmarktes, sodass die Erfolgschancen, nach langer Abwesenheit
am Arbeitsmarkt neuerlich in der Berufswelt Fuß zu fassen,
gesteigert werden“.
Voraussetzung für eine Qualifikation als „Beschäftigung“ wäre
insbesondere die intendierte Leistungserbringung für einen
Dienstgeber (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. April 2004,
Zl. 2003/08/0200). Eine zusätzliche „sozialpädagogische Betreuung“
– deren genauer Inhalt noch festgestellt werden müsste – wäre im
Rahmen eines echten Beschäftigungsverhältnisses nur in den engen
Grenzen der in § 9 Abs. 2 AlVG normierten Zumutbarkeit möglich. Im
Fall des Vorliegens entsprechender Hinweise (wovon bei der bloßen
Bekanntgabe, Vegetarierin zu sein, in Bezug auf die Tätigkeit
einer Küchengehilfin keine Rede sein kann) wäre es Aufgabe der
Behörde, die körperlichen Anforderungen einer zugewiesenen
Beschäftigung mit den (verbliebenen) körperlichen Fähigkeiten des
Arbeitslosen zu vergleichen und danach zu beurteilen, ob dem
Arbeitslosen die zugewiesene Beschäftigung gesundheitlich
zugemutet werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom
23. Februar 2005, Zl. 2002/08/0119). Im Übrigen überlässt es das
Gesetz bei der Zuweisung einer Beschäftigung der arbeitslosen
Person selbst, vorerst die näheren Bedingungen der ihr von der
regionalen Geschäftsstelle bekannt gegebenen
Beschäftigungsmöglichkeit (wie Inhalt der Arbeitsverpflichtung,
Arbeitszeit, Entlohnung u.ä.) mit dem potenziellen Arbeitgeber zu
besprechen, und verpflichtet sie sodann, dessen Angebot – wenn
dies nach den gesetzlichen Kriterien zumutbar ist – anzunehmen
(vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2005, Zl. 2003/08/0039).
Hingegen handelt es sich um Schulungs-, Umschulungs- oder
Widereingliederungsmaßnahmen, wenn „(Arbeits)Training“, „Spielen“,
„Orientierungen“, „Betreuungen“ oder „Schulungen“ mit dem Ziel zur
Rede stehen, einem Arbeitslosen die Wiedereingliederung in den
Arbeitsmarkt zu erleichtern. Es wäre unzulässig, eine Schulungs-,
Umschulungs- oder Wiedereingliederungsmaßnahme in das rechtliche
Kleid eines Arbeitsverhältnisses zu jener Einrichtung zu hüllen,
welche die Maßnahme durchzuführen hat. Bei solchen
Nach(Um)schulungen bzw. Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den
Arbeitsmarkt im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 2 und 3 AlVG könnte von
einer ungerechtfertigten Weigerung zur Teilnahme im Übrigen nur
dann gesprochen werden, wenn sich die Zuweisung auf eine zulässige
Maßnahme bezieht (also dazu dient, die nach Lage des in Betracht
kommenden Arbeitsmarktes für die Erlangung bzw. Vermittlung einer
zumutbaren Beschäftigung nicht ausreichenden Kenntnisse und
Fähigkeiten des Arbeitslosen zu verbessern) und die Weigerung in
objektiver Kenntnis des Inhaltes, der Zumutbarkeit und der
Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erfolgt. Dazu müsste die
Behörde die Voraussetzungen für eine solche Zuweisung ermittelt
und das Ergebnis ihres Ermittlungsverfahrens der
Beschwerdeführerin – unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer
Weigerung – zur Kenntnis gebracht haben. Ein Arbeitsloser, dem
Maßnahmen im Sinne des § 9 Abs. 1 AlVG ohne nähere Spezifikation
und ohne Vorhalt jener Umstände zugewiesen werden, aus denen sich
das Arbeitsamt zur Zuweisung berechtigt erachtet, könnte im Falle
der Weigerung, einer solchen Zuweisung Folge zu leisten, nicht vom
Bezug der Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung im Sinne
des § 10 Abs. 1 AlVG ausgeschlossen werden (vgl. die
hg. Erkenntnisse vom 21. April 2004, Zlen. 2002/08/0262, und –
bereits zitiert – 2003/08/0200, mwN).
Da unklar geblieben ist, ob die Beschwerdeführerin zu einer
Beschäftigung oder einer (Wiedereingliederungs-)Maßnahme
zugewiesen worden ist, kann der Verwaltungsgerichtshof beim
derzeitigen Verfahrensstand die materielle Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Bescheides nicht prüfen, sodass der von der
belangten Behörde angenommene Sachverhalt in einem wesentlichen
Punkt einer Ergänzung bedarf (vgl. das hg Erkenntnis vom
20. Oktober 2004, Zl. 2002/08/0278).
Der angefochtene Bescheid ist daher wegen Rechtswidrigkeit
infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2
Z. 3 lit. a und b VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in
Verbindung mit der Verordnung BGBl. II. Nr. 333/2003.
Wien, am 15. Februar 2006
Dokumentnummer JWT/2004080148/20060215X00
15.11.2006