ARBEITSLOSIGKEIT IST LEISE UND MACHT STUMM
Max G.
(aus „Wissen, daß Wissen nicht hilft“)
Arbeitslosigkeit ist leise und macht stumm. Und macht, daß du dich von außen siehst, wie jetzt, als er durch die Straßen geht, der Arbeitslose. Auf dem Gehsteig eine Cola-Büchse. Früher hättest du sie verspielt hochgekickt, jetzt steht ihm soviel Übermut nicht zu. Das Gesicht erfroren. Jetzt wirft er einem Bettler eine Münze in den Hut, ohne die Selbstverständlichkeit von früher, er macht es mehr für sich als für den Armen. Jetzt ächtzt er förmlich unter dem Vergleich. Jetzt versucht er tapfer, durchzuatmen. Dann zieht er weiter wie bei Gegenwind, den du inmitten der Menge als einziger spürst.
Wie oft fühlt man sich fehl am Platz? Nicht zu lange nachdenken, sonst bleibt bald kein Anlaß mehr übrig, wo dies nicht zuträfe. In seinem rastlosen Geflatter. Arbeitslosigkeit ist innen Hysterie und außen Starre. Befindlichkeit bekommt Gewicht wie nie zuvor. Aha, was ein Nichts geworden ist, wird zum Objekt der Selbstbetrachtung. Man belauert sich, um sich grimmig zu verteufeln.
Mit Leuten, die im trüben Gang des Arbeitsamtes lungern, hat er nichts zu tun und zeigt es auch. Zu vorgeschriebenen Terminen kommt er, dem das eigene Erscheinungsbild bislang gleichgültig war, akkurat mit Krawatte, auf dem dreiteiligen Anzug kein Fussel und die Schuhe wie zum Staatsempfang. Diese eifrige Bereitschaft, Formulare tunlichst brav auszufüllen, Dokumente von Meldezettel bis Staatsbügerschaftsnachweis beizubringen, immer wieder, weil immer wieder etwas zusätzliches verlangt wird. Bürokratische Rituale als schamanische Placebos. Angesichts von soviel eigner Dämlichkeit sein Zähneknirschen, daß oben links der Fünfer splittert. Zudem ist es unangenehm, diese trübsinnigen Bediensteten des Arbeitsamtes zu behelligen. Er will, daß sie ihn los sind, so oder so.
Bei Bewerbungsschreiben führt er eine lange und erstaunlich imposante Liste von Leistungen an. Doch damit stimmt sein Gefühl nicht überein; diese Leistungen sind von einem, der nicht mehr ist, nicht einmal in der Erinnerung. Bewerbungen zur Post bringen heißt – hehe!- tatsächlich: sie aufgeben. Manchmal sieht man sich beim Tippen der Briefe bereits im neuen Job und kann dabei recht fröhlich werden. Das wird die Fallhöhe der kommenden Ernüchterungen steigern. Manchmal, ganz plötzlich, das Sprudeln von Tatkraft und Ziel. Bis dir bewußt wird, wer du bist.
Auf einmal so viel Zeit, daß es eng wird. Projekte, Ideen und Pläne, in all den Jahren angesammelt, da man vor lauter Tun nicht dazu kam, jetzt… Was jetzt? Jetzt starrst du auf die Notizen und… Was und? Kein und, Datei schließen. Du könntest dich nützlich machen, als Sprachlehrer für Ausländerkinder in der Volksschule nebenan. Warum gehst du nicht zur Direktorin? Oder, als die Überschwemmung kommt, Sandsäcke… Pah, du mit den rheumatischen Gelenken! Auch der Sanitätsdienst beim Roten Kreuz fällt deshalb flach. Sie nähmen dich nicht einmal bei der Fremdenlegion. Dann gibt man sich einen Ruck für ein Projekt, das einen Compagnon braucht. Du sprichst wen an, der für dich ohnehin nur zweite Wahl ist, so weit bist du gesunken… Aber der hat erstens nichts begriffen und zweitens ohnehin keine Zeit.
Ehemalige Kollegen meiden. Gerät man zufällig doch in deren Runde, werden sie noch schneller anstrengend als früher. Haben sie nichts zu bereden als Firmen-Intrigen, die Tücken des neuen Kaffeeautomats und die altbekannte Hinterfotzigkeit des Chefs? Und wie mickrig diesmal die Prämie sei. Daß man oft von seiner alten Arbeitsstelle träumt – und stets verlockend – wirkt als zusätzliche Perfidie. Und das früher so ersehnte Glück, keinen über sich zu wissen als die Sterne, erscheint nun schal und mehr behauptet als empfunden.
Was geschieht eigentlich? Die unerträglich gewordene Arbeit in der unerträglich gewordenen Firma wollte er seit Jahren los sein, nur war da eine Paralyse, die ihn gehindert hat am Sprung. Jetzt ist er frei, kann immerhin die Miete zahlen, seine Frau muß nicht in den Lohndienst, noch nicht. Woher dann die Beklemmung? Woher dieses: Erwachen und sich schon krümmen vor Scham? Und die ausufernden Vorwürfe: Was man alles nicht getan hat, als man es noch tun hätte können. Die Fülle des Versäumten lastet und hemmt.
Das Geld, das man als Abfertigung bekommt, hat seinen Preis. Er liegt in der Bezeichnung. Du bist abgefertigt; draufgespuckt und hau ab. Man hätte es zurückschmeißen sollen, mit theatralischer Geste. Die bereute man dann weniger als Geldnot. Doch die Abfertigung ist schon verplant und irgendwie und irgendwann dahin. Man sagt investiert. Erstmals im Leben hast du deine Familie als Ausrede mißbraucht für die Hinnahme einer Demütigung und spürst, was wirklich Sünde ist.
Plötzlich geht viel mehr auf die Nerven als zuvor. Die falschen Betonungen der Nachrichtensprecher im Radio, der Lärm aus dem Beisel im Parterre, die Erbärmlichkeit der Zeitungen oder daß ein Kugelschreiber nicht recht will, daß die Bestecklade klemmt, daß… Das wird alles persönlich genommen und bietet Anlaß zu einer lächerlichen Wut, die den ganzen Tag beutelt und abends dann nicht schlafen läßt. Er hat ja recht – aber warum kann es dich nicht gleichgültig lassen?
Phänomene, wie sie das Leben umstellen, sind allesamt schon längst beschrieben und bekannt. Aus Psychologie, Soziologie, Medizin. Daß dir dein Wissen nicht hilft, wird zur weiteren Kränkung. Jaja: Daß die turbokapitalistische Besessenheit die Spaltung der Gesellschaft will und betreibt. Daß es Gewinner und Verlierer gibt – und zwischen den Verlierern kein Verständnis, keine Solidarität. Daß die Arbeitslosigkeit ein Segen für die Spekulanten ist und Kapital durch Lohndruck davon profitiert. Daß die Parole, jede Arbeit sei besser als keine, unsinnig ist wie der Satz: Geht es der Wirtschaft gut, dann geht es allen gut. Du kennst die Marienthal-Studie und siehst mit Bestürzung, wie dein Tagtägliches den alten Anamnesen folgt. Du könntest prüfen, welche Stufe des Verfalls bei dir als nächste fällig ist. Und sie abhaken.
Wurde früher in Tischrunden oder Leserbriefen dummes Zeug über die Arbeitslosigkeit geäußert, hat er sich lauthals räsonierend dagegen gestemmt und z.B. gesagt, daß an der Managerkrankheit eher Arbeitslose stürben als die Manager. Jetzt, als Betroffener, wird er kleinlaut oder wechselt das Thema. Früher hat er sich vom Finanzamt ausgenommen gefühlt. Jetzt schämt er sich, Geld vom Staat anzunehmen. Daß er jahrelang auch für die Arbeitslosenversicherung bezahlt hat, zählt als Argument nicht mehr. Hat ihn früher jemand nicht wie vereinbart angerufen, dann war der halt zerstreut oder ein Dummkopf, sei´s drum. Jetzt wird er wohl mit Seinesgleichen nichts zu tun haben wollen. Alles, was mit ihm zu tun hat, erscheint in anderer Beleuchtung, sowohl schärfer als auch düsterer.
Dann die Qual der Erinnerung: Als man jung war und weniger Geld hatte als jetzt, hatte man eben Zukunft. Alles schien möglich. Man war – mit ironischer Wonne und nicht ohne Dankbarkeit für den Gewinn an Einfühlung – Fensterputzer, Pflastermaler, Prospektverteiler, Speditionsarbeiter. Jetzt traut man sich das Banalste nicht mehr zu. Früher gab es auch Ablehnungen zuhauf – aber da hielt man Leute, die einen nicht wollten, für Esel. Jetzt ist man selber einer und weiß es auch.
Diese Art von Arbeitslosigkeit gab es in deiner Familie nie. Not ja, immer wieder nach den Kriegen, aber die Tatkraft war größer, und schlimmstenfalls verkaufte man im Krankenhaus sein Blut, nie seinen Stolz. Als Großvater, der Flüchtling, in dieses Land kam, ging er auf die nächste Baustelle Ziegel schleppen, mit 60. Zuvor war er Beamter gewesen, die einzige körperliche Anstrengung etwas Gestocher im Garten, um seine heiligen Rosen herum und den heimlich gepflanzten Tabak. Was dächte dieser Alte jetzt von dir? Erstmals im Leben paßt es, daß er tot ist. Du hieltest seinem Blick nicht stand.
Wann ist Arbeitslosigkeit Genuß? Wann könnte er mit jeder Faser spüren, dass er frei ist? Warum geht es nicht? Warum erscheinen ihm Initiativen wie „Die fröhlichen Arbeitslosen“ nichts als obszön und widerwärtig? Warum ist, was man zuvor verachtet hat, nämlich die Prämissen der Erwerbswelt, plötzlich so verinnerlicht, als wären es Organe? Woher diese baldige Gewißheit: Kriegst du auch den allerbesten Job oder beim Lotto-Gewinn Millionen – du bist für immer deformiert? Sitzt die Arbeitslosigkeit bereits in deinen Knochen und den Genen? Und warum keine vernünftige, hilfreiche Antwort auf all die Warums? Warum?
Arbeitslosigkeit ist: Kein Tag weist über sich hinaus. Noch über dich. Da kannst du japsen, wie du willst, du armer Hund, und wie nach Mücken nach Visionen schnappen.
Arbeitslosigkeit hat, wie eine Rakete ins Nichts, mehrere Stufen. In der ersten ist er amüsiert vom kabarettistisch wirkenden Getue am Arbeitsamt und steht darüber. Manchmal wird unangenehm bewußt, auf welchem Niveau es ihm schlecht geht. Wieder jenes Ächzen unter dem Vergleich und wieder Scham. Gilt es später, einen Krankenschein für das Kind abzuholen, blickt er über das triste Gedränge der Wartenden und sieht: Man will es Seinesgleichen nicht behaglich machen. In der Warteschlange jeder mürrisch gegen jeden. Die graue Maus am Schalter wirkt wie abgeschoben, auf den toten Gleis gestellt. Soll sie euch spiegeln, dich und Deinesgleichen? Nächstes Mal bringt er ihr Moncherie mit, und die arme Schnepfe ist gerührt. In der nächsten Stufe, in den Notstand abgerutscht, ändert sich der Ton. Sie werden ungeduldig und verbergen es nicht. Daß seine Gehaltsvorstellung beim Vielfachen ihres eignen Lohns liegt, empfinden sie als Frechheit und Verhöhnung ihrer eignen Existenz. Er selbst wird schroff und arrogant, sobald es heißt: „Wir haben sie eingeladen…“ – „Vorgeladen!“ – „Wir sagen eingeladen.“ – „Lügen sie sich nicht in den Sack?“ – „Warum sind sie so wenig kooperativ?“ – „Ich bin für klare Verhältnisse.“ – „Wenn sie den Kurs nicht besuchen, zu dem wir sie einladen, werden sie von den Bezügen ausgenommen.“ – „Na also, Erpressung. Wenigstens ehrlich.“ Später wird er stumm und und mit frostigen Augen zu diesen unsinnigen Unterfangen pilgern, wo lust- und kenntnislose Referenten lustlosen Zuhörern irgendwas Sinnloses vortragen. Wir sind weichgeklopft und demütig zu weiterer Demütigung bereit.
Arbeitslosigkeit ist: Sich den Schneid abkaufen lassen. Beim Vortrag über Unternehmensgründung, in den man hineingenötigt worden ist, schreibt der hochnäsige Referent „Unternemer“ auf die Flipchart. Man müßte dazwischenrufen: „Unternehmer schreibe ich mit h. Kriege ich jetzt ihren Job oder bin ich wieder überqualifiziert?“ Daß du dir auf die Zunge beißt, wirst du dir nicht verzeihen.
Berichte über Arbeitslosigkeit, Grundeinkommen, working poor in den Zeitungen bald überblättern. Er kann das Zeug nicht mehr lesen. Der Leserbrief eines katholischen Funktionärs bringt ihn in Rage: Man möge freundlich zu den Arbeitslosen sein, ihr Los könne schließlich jeden treffen. Der meint es erbärmlich gut und und macht dich zum Stigmatisierten. Aha, man solle umsichtig und sanft mit dir umgehn, wie mit Idioten, womöglich langsam sprechen, deutlich artikulieren… Lieber noch als jenem Politiker, der Arbeitslosen vorwirft, in sozialen Hängematten zu lungern, würdest du diesem grundgütigen Kerl die Nase zertrümmern. Wie der sich dann mißverstanden fühlte, der Arme! Dann verziehst du dich wieder in die hysterische Apathie, mittlerweile Heimat.
Vom Arbeitslosenstammtisch hören. Gute Idee, sagt er, wertvoll. Aber selber hingehn – unvorstellbar. Dort würde man mit Schmach infiziert. Als die Grünen ihren Tag der Arbeitslosen ausriefen, war das auch so eine gute Idee. Seit er sein Tag ist, sieht er das nicht als politisches Zeichen, fühlt sich nur vereinnahmt und mißbraucht. Sollen sie gefälligst einen Tag der Linkshänder ausrufen! Oder der schwul/lesbischen BriefmarkensammlerInnen! Er ist bereit, Heuchelei auch dort zu entdecken, wo keine ist. Ach, was – die Heuchelei ist überall!
Im Alltag die Verblüffung, wenn etwas gelingt. Das tadellos funktionierende Mühlrad für die Kinder, da am Bach. Ihre Freude. Sein schiefes Grinsen. Da hat offensichtliches etwas Richtiges einen Falschen erwischt. Und dann merken – oder es sich einbilden: Seine Stimme hat Gewicht verloren. Hat er früher z.B. ein Kunstwerk kritisiert, ein Buch, ein Theaterstück, dann war es Kompetenz. Jetzt ist es Meinung, eine unter vielen. Daß er einst – nur halb im Spaß – gemeint hat, „Ich diskutiere nicht, ich postuliere“, liegt jetzt jenseits jedes Horizonts. Die Folge: Er geht nun deskriptiv vor und enthält sich des Urteils. Schließlich wird er sich seine Angst vor einem ehrlichen Jobangebot eingestehen. Er wäre überfordert – und fleißig nur im Bestreben, abgewiesen zu werden. Die Ablehnungen bekommen ihre Folgerichtigkeit im Nachhinein. Bei den Vorstellungen (das Wort Vorstellung paßt gut, es ist Theatralisches dabei, und alles tut als ob…) registriert er immer: Es geht gar nicht um Qualifikation. Sie wollen ihn grundsätzlich nicht, und wenn du dich auf den Kopf stellst. Typen, die er ohnehin verachtet, wagen es, ihn abzulehnen. Anfangs nimmt er sich die Zeit, den Personalchef zu beleidigen, später wird er sich nur still betrinken gehn. Nicht mehr in eine Hotelbar, das wird zu teuer, er hockt sich in ein Serbenbeisel, wo man aus Flaschen trinkt. Und suhlt sich in der einsamen Verkommenheit.
Etwas Trost beim Sarkasmus Gottfried Benns: „Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück.“ Arbeit ist zwar nicht in Aussicht, aber du arbeitest beharrlich an deiner Verblödung.
Er geht Verluste ernten, davon ist täglich mehr. Verlust der Fähigkeit, zu sich selbst etwas freundlich zu sein. Verlust der Konzentrationsfähigkeit. Verlust der Fähigkeit, sich zu entspannen und der ständigen verkrampften Aufgekratztheit zu entkommen. Verlust der Neugierde. Verlust der Libido. Verlust der Zukunft. Verlust der Fähigkeit, sich anders zu ertragen als in Trunkenheit. Verlust jener Verantwortung, die sich beiläufig erweist und dann hält. Verlust der Phantasie, es bleibt nur fahrige Gedankenflucht und Wiederkehr des Lähmenden.
Verblüffend bald wird Geld ein Thema. Es fällt auf, wie teuer alles ist. Vor allem die alltäglichen Kleinigkeiten. Und die Zigaretten. Du solltest dir das Rauchen abgewöhnen nur aus einem Grund: Die Selbstzerstörung mit so teuren Giften steht nur jenen zu, die sich´s wirklich leisten können. Dann sind die Ersparnisse aufgebraucht, gleichsam unter der Hand. Trotz der Einschränkungen. Manchmal fällt ein, wer dir im Bekanntenkreis noch Geld schuldet. Du rechnest: Davon ließe sich mehrere Monate leben. Aber du rechnest nicht damit, es je zu bekommen. Bald wirst du selber Schulden machen, bei Freunden, vor Weihnachten – und deiner Frau davon kein Wort. Das wird im Lauf der Zeit eine beachtliche Summe. Denken deine Gläubiger nun über dich wie du über deine Schuldner? Verdient er soviel Nachsicht?
Vor Geburtstagen der Lieben ist es besonders schlimm und augenfällig. Früher hat er eine Amerika-Reise bezahlt oder eine Klarinette, jeweils ein Monatsgehalt, mit Freude und mit links. Nun beginnt er, seine Bestände zu verschenken: Die Klassiker-Gesamtausgaben in Leder, die stattliche Fotoausrüstung, die Bilder. Wertvolle Geschenke allesamt, gewiß, doch sie nehmen das Erben vorweg. Wenn man sich mit Freude und mit Überschwang bedankt und ihn umarmt, wird er im Mund das Bittere nicht los.
Was ständig an ihm klebt: Zeit und ihre Verwandlung. Früher war Zeit etwas Knappes – oder Fülle im Moment. Wenn man ein Werkstück abgeliefert hat, erschöpft und glücklich. Oder innehielt in einem Takt von Schubert oder Johnny Cash. Oder die Haustür aufschloß und die Liebste singen hörte und die Kinder brabbeln. Das war Zeit in Dichte und ein Flügelschlag von Ewigkeit. Nun ist sie Last, hockt rund um die Uhr auf seiner Brust, daß er mühsam Luft bekommt. Und bald ist jenes Singen auch nicht mehr. Was Beständigkeit bekommt, ist das Gefühl, daß man ihn verachtet. Er fürchtet die Bestätigung und ist ihr ständig auf der Spur.
Ein Brieflos kaufen, einen Lottoschein. Ein Gewinn stünde ihm irgendwie zu, oder nicht? Daß er leer ausgeht, tut letztlich wohl. Fortuna hat kein Mitleid; indem sie ihn ignoriert, nimmt sie ihn offensichtlich ernst. Sie wird deine Göttin.
Späte Phase (sobald man da die Augen schließt, locken als Lösungsmodelle die Selbstmordvisionen en masse): Das Gefüge des Alltags verrutscht, die Rhythmen zerbrechen, und mit ihnen ist der letzte Halt dahin. Tagsüber schlafen auf der Couch, erwachen gegen drei Uhr früh, aus wirren Träumen. Im Spiegel jemand mit verklebtem Haar, gehetztem Blick, sein Mund wie zugenäht. Dem Kerl ist nicht zu helfen noch zu trauen, meinst du, fuhrwerkst dann ziellos dumm im Internet herum, bis es draußen hell geworden ist, und verziehst dich lichtscheu wieder in den Schlaf. Immer seltener rasierst du dich. Immer seltener verläßt du die Wohnung, schließlich das Zimmer. Wenn jemand doch noch anruft, wird er schroff abgefertigt. Bald ist Einsamkeit das einzige, das du hegst. Während du träumst, leben deine Nächsten, von denen du dich träumend entfernst.
Etc.