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Unglaublich aber wahr

Wer nicht erlebt hat, was uns widerfährt, der wird es nicht glauben

Dieser Satz, gefallen in einer Diskussion von Langzeitarbeitslosen, war für mich der Auslöser, diesen Bericht zu schreiben. In ihm sind die Erfahrungen einer ganzen Reihe von Personen, einschließlich von mir selbst, verarbeitet. Ich räume gerne ein, daß der eine oder die andere, vor allem wenn der Kontakt mit dem Arbeitsmarktservice (AMS) nur kurz war, Erfreulicheres erlebt hat, als hier dokumentiert ist. Trotzdem sind es authentische Berichte, die nicht wegdiskutiert werden können.

Im öffentlichen, politischen Diskurs ist die soziale Erfahrung der Arbeitslosen mit dem AMS weitgehend ausgeschlossen. Daß gewisse Kreise Interesse haben, Zerrbilder über Arbeitslose in Umlauf zu setzten, verseht sich von selbst. Aber auch bei linken und kritischen politischen Kräften, die die Arbeitslosigkeit ehrlich als echtes Problem, und nicht als probates Mittel, Druck auf die noch Arbeitsplatzbesitzenden auszuüben, auffassen, fehlt oft jedes Wissen um die Vorgänge im AMS. Immerhin ist das AMS eine Institution, die das Lebensschicksal von über einer viertel Million Menschen verwaltet. Es ist eine Sache, sich Gedanken über die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu machen, politische Vorschläge zu entwickeln oder Maßnahmen vorzuschlagen. Eine andere Sache ist es, die Politik des AMS unter die Lupe zu nehmen. Hier herrscht auch bei linken und oppositionellen Funktionären oft blankes Unwissen und völlige Ahnungslosigkeit, was eigentlich hinter den geschlossenen Türen der Beratungszimmer geschieht. Irgendwie scheint der Irrglaube verbreitet zu sein, daß AMS würde halt offene Stellen vermitteln, ansonsten Arbeitslose durch Schulungen weiterbilden. Und, so wird unausgesprochen hinzugefügt, was sei daran schon so problematisch. Die Kritik bezieht sich in der Regel allein auf den Punkt, daß die Kursmaßnahmen die Arbeitslosenstatistik verfälschen würde. Diese Sichtweise ist nicht nur bis zu Lächerlichkeit verkürzt, sie zeigt vor allem den Ausschluß der sozialen Erfahrung. Wer so denkt, hat seit Jahrzehnten kein Arbeitsamt als Betroffener betreten. Ohne Bezug auf die soziale Erfahrung wird ein steriler, von allem Erleben gereinigter politischer Diskurs über die Arbeitslosigkeit geführt, in dem die wirklichen Menschen, ihre Erlebnisse, Befürchtungen und Ängste nicht mehr vorkommen. Wer arbeitslos ist, ist stigmatisiert. Man seht im Schatten von Arbeitsunwilligkeit, Schmarotzertum und persönlicher Unfähigkeit. Und wer arbeitslos ist, kennt das aus seinem Alltag ganz genau. Doch der soziale Ort, an dem sich die Abwertung konkret und mit praktischen Konsequenzen vollzieht, ist die Institution AMS. Wer über Arbeitslosigkeit spricht ohne das AMS mit einzubeziehen, verliert an Glaubwürdigkeit.

„… den Fuß in der Türe…“

Wer Räume des Arbeitsmarktservices betritt ist von eine Flut von Plakaten und Broschüren umgeben, in denen „Kundenorientiertheit“ und „Problemlösungskompetenz“ signalisiert werden. In wohlwollender, ja salbungsvoller Sprache ist von „Hilfestellung“, „Unterstützung“ und „sinnvollen Maßnahmen“ die Rede. Sobald sich die Türe des Beratungszimmers geschlossen hat und man dem Betreuer alleine gegenüber sitzt, sehen die Dinge bald ganz anders aus. Was nun verhandelt wird, sind nicht ein paar tausend Schillinge im Monat, ist nicht die Suche nach einem sinnvollen Arbeitsplatz, sondern die Durchsetzung eines perfides Kalküls, das man zuerst gar nicht recht glauben kann. Tatsache ist: Das AMS kann keine Arbeitsplätze anbieten, die der Ausbildung, der Berufserfahrung, dem Interesse und der Motivation der Arbeitsuchenden entsprechen – und die Beamten wissen das auch. Je länger man arbeitslos ist, desto klarer erkennt mensch, daß die vorgeschlagenen Maßnahmen offenbar einen anderen Zweck erfüllen, als jenen, den die Hochglanzprospekte suggerieren. Als erster Schritt wird unmißverständlich klar gemacht, daß der Arbeitsplatz nach Wunsch eine Illusion sei, die man sich rasch abzuschminken hätte. Nach und nach zeichnet sich das eigentliche Kalkül der Gespräche, Vorschläge und Maßnahmen ab, die einem unbefangenen Beobachter als nicht zielführend, ja unsinnig erscheinen müssen. Die Arbeitsuchenden sollen dazu gebracht werden, jedes Kriterium für die Arbeitsplatzwahl, jeden Anspruch, jeden Wunsch nach einem bestimmten Arbeitsplatz aufzugeben und dem Credo beipflichten, jeder Arbeitsplatz, sei er noch so miese, schlecht bezahlt und weit vom Wohnort entfernt, so besser als gar keiner. Darum kreist die sogenannte „Betreuung“ durch die Beamten des AMS in Wirklichkeit. Widerspruch und Einwände werden nicht geduldet. Wer keine Einsicht zeigt, dem drohen Sanktionen. Ein beliebtes Mittel, Arbeitslose zu schikanieren, sind Kurse. Bei diesen Kursen geht es immer weniger um Vermittlung von beruflichen Qualifikationen, sondern um die Indoktrination marktkonformener Weltanschauungen, schlicht um Gehirnwäsche. Vor dem Hintergrund primitivster neoliberaler Positionen soll dem Arbeitsuchenden eingetrichtert werden, daß sein Schicksal einzig und allein in seinen Händen liegt. Wer zu äußern wagt, daß das Problem der Arbeitslosigkeit auf gesellschaftlicher Ebene bekämpft werden muß, wird automatisch zum Querulant und dokumentiert damit seine heimliche Arbeitsunwilligkeit. Mit subtilen Methoden wird den Arbeitslosen eingehämmert, sie müßten erkennen, daß sie eigentlich von der Gesellschaft durchgefütterte Problemfälle seinen. Freilich ertönt auch die frohe Botschaft: „Wichtig ist, den Fuß in der Türe zu haben“. Das heißt im Klartext: Irgend ein Job, sei er noch so übel und miserabel bezahlt, sei besser als gar keiner….

Als besondere Pikanterie am Rande muß erwähnt werden, wer und zu welchen Bedingungen diese Kurse hält. Oft sind es selbst Langzeitarbeitslose, die, auf Basis von Wertverträgen, Arbeitslosen erklären sollen, wie sie ihrem Schicksal entrinnen können. Ich kenne einige Personen, bei denen es sich im letzten Moment entschieden hat, ob sie den selben Kurs leiten, oder ihn konsumieren müssen. Ablehnung von Kursen zieht die Streichung des Bezugs für einige Wochen nach sich; damit wird auch ganz offen gedroht. Qualifizierte Personen, die den Berufsschutz verloren haben, werden ohne Debatte an die absurdesten Stellen vermittelt. „Notwendige Dequalifikation um die Chancen am Arbeitsmarkt zu erhöhen“ lautet die offizielle Sprachregelung – praktisch bedeutet dies die völlige Ignoranz gegenüber den Fähigkeiten, Interessen, ja der Persönlichkeit des Arbeitsuchenden. Die Rücksichtslosigkeit und Brutalität des Vorgehens kann am besten an Beispielen demonstriert werden. Einer ausgebildeten und preisgekrönten Musikerin und Komponistin wurde ungerührt die Stelle einer Regalbetreuerin in einem Supermarkt angeboten, einem langjährigen Universitäts-Lektor eine Kellnerstelle in Baden, trotz seines Wohnorts in Wien. Einem ausgebildeten Tischler eine Stelle als Abwäscher, inklusive ein täglicher Arbeitsweg von drei Stunden. Diese Beispiele sind keine Einzelfälle und könnten beliebig verlängert werden. Geäußerte Bedenken, die angebotene Arbeitsstelle würde ja nicht im geringsten der eigenen Person entsprechen, werden zynisch mit dem Hinweis auf zu leistende Flexibilität und der Drohung mit Bezugsstreichung quittiert. Argumente, die Annahme einer besonders unqualifizierten Tätigkeit würde das Resultat jahrelanger Ausbildung in Frage stellen und in weiterer Zukunft das Erreichen einer entsprechenden Tätigkeit nachhaltig gefährden, werden als Widerspenstigkeit und Arbeitsunwilligkeit ausgelegt. Unmißverständlich wird das Aufgeben seiner eigenen Geschichte, seiner Fähigkeiten, seiner sozialen Identität gefordert. Diese gängige Praxis betrifft alle sozialen Gruppen, Männer wie Frauen. Indem blindwütig Menschen an offene Stellen vermittelt werden, die auf sie paßt wie die berühmte Faust auf das Auge, muß bei den potentiellen Arbeitgebern und in Folge in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, Arbeitslose seien an Anstellungen gar nicht interessiert. Das wiederum hat zur Folge, daß Arbeitgeber, die engagierte und interessierte Personen suchen, offene Stellen den Arbeitsämtern nicht melden. Durch die Vermittlungspraxis des AMS finden sich letztlich nur Jobs im Angebot, die, höflich ausgedrückt, nicht wirklich arbeitsmarktfähig sind. Nur wer diesen Mechanismus kennt, weiß, warum die Zuweisung von Vorstellungsterminen de facto konterproduktiv und als Schikane zu werten ist.

Es wäre naiv zu glauben, das AMS wüßte das alles nicht. Ebenso ist die praktische Erfolglosigkeit diverser Kursmaßnahmen bekannt. Die in der Öffentlichkeit immer wieder geäußerte Meinung, die Kurse sein dazu da, die Statistik zu beschönigen, ist eben nur die halbe Wahrheit. Auch wenn die Maßnahmen keineswegs dazu führen, Personen an sinnvolle Arbeitsplätze zu vermitteln, sie haben durchaus einen Sinn. Nämlich das Individuum so lange weich zu klopfen, bis es bereit ist, wirklich jede Arbeit zu allen Bedingungen anzunehmen. Wirtschaft, was wünscht du dir mehr! Der Sinn dieser an sich sinnlosen Befehle ist es, die Arbeitslosen ständig auf Trab zu halten mit dem Kalkül, irgendwann wird sich der Arbeitslose vom Bezug abmelden und nicht mehr in der Statistik aufscheinen, egal wie, egal welchen Job er irgendwo organisiert. Beliebt ist auch die Ermunterung, sich „selbständig“ zumachen, das heiß fast immer ohne notwendiges Kapital und Erfahrung, freier Unternehmer zu spielen. Auch dafür gibt es Kurse.

Ohnmacht und Angst

Sicher treffen die in diesem Bericht festgehaltene Erfahrungen nicht auf alle in gleichem Maße zu. Die gründlich geschulten Beamten gehen sehr differenziert vor. Jüngere Personen, die nur wenige Wochen arbeitslos sind und als leicht vermittelbar eingeschätzt werden, werden andere Erfahrungen machen, als jene, die als Problemfälle gebrandmarkt werden. Und Problemfall ist man leicht, die „falsche“ Ausbildung, sogenannte Überqualifikation, längere Arbeitslosigkeit, ältere Menschen, alleinstehende Frauen mit Kindern – schon bekommt man Macht und Willkür zu spüren. Über Ohnmacht und Angst spricht mensch nicht gerne. Aber es soll auch einmal gesagt werden: Aus zahlreichen Gesprächen und auch aus eigener Erfahrung weiß ich, welch psychischen Druck es bedeutet, dem sogenannten Betreuer ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Man wird zu Aktionen gezwungen, die man aus tiefster Überzeugung für sinnlos, ja konterproduktiv hält. Man wird gezwungen, sich für Jobs bewerben, obwohl man selbst weiß – und zumeist auch der potentielle Arbeitgeber, so er über einen Funken Menschenkenntnis verfügt – , daß man für diese Tätigkeit einfach nicht geeignet ist. Das hinterläßt Spuren, den Stachel des Befehls. Überhaupt Kriterien für seinen möglichen Arbeitsplatz zu entwickeln, gilt als lächerlich, ja Arbeitsunwilligkeit. Das Bedrückende ist die Ausweglosigkeit, in der sich die Arbeitslosen befinden. Im gesellschaftlichen Normalfall befindet sich das Individuum in einer Situation, die es aus freier Entscheidung beenden kann. Hält man seinen Arbeitsplatz nicht aus, besteht die Option der Kündigung. Wird die Beziehung zur Hölle, ist Trennung immer noch möglich. Solange man jedoch ohne Arbeit und Einkommen ist, kann man dieser Institution nicht entfliehen. Die psychische Reaktion der Arbeitslosen ist unterschiedlich. Manche reagieren mit Zynismus, andere mit Angst, dritte geraten in Panik und treffen Entscheidungen, die an sich unsinnig sind, weitere reagieren mit Überanpassung und vorauseilendem Gehorsam. „Eigentlich sind wir Leibeigene des Staates“ formulierte eine Langzeitarbeitslose in einem Gespräch. Dem kann ich nur zustimmen.

Was tun?

Linke Politik kann nicht länger ausschließlich „die Arbeitslosigkeit bekämpfen“ auf ihre Fahnen schreiben, gleichzeitig das AMS und seine Mechanismen als blinden Fleck ignorieren. Diese Haltung arbeitet dieser Institution und ihrer Macht in die Hände. Sie spart einen, ja den Mechanismus der Disziplinierung und Unterdrückung aus der Kritik aus. Wir alle wissen nur zu gut, wie die Drohung mit der Arbeitslosigkeit in den Betrieben wirkt, wie diese Drohung benutzt wird, um die Situation für alle Werktätigen zu verschärfen. Besteht die Antwort einzig und allein in der Forderung nach Arbeitsplätzen, so sind die Arbeitslosen weiter schutzlos der Politik der AMS ausgeliefert. Diese Situation ist unerträglich. Ich halte es hier nicht für sinnvoll, einen Forderungskatalog im Detail vorzulegen. Ich persönlich würde für Auslösung des AMS und für Freiwilligkeit bei Beratung und Kursen plädieren. Dich meine Stimme ist nur eine unter vielen. Notwendig ist, daß die Arbeitslosen ihren reinen Objektstatus überwinden. Wie bei jeder stigmatisierten und heterogenen Gruppe ist Selbstorganisation sehr schwierig und existiert nur in Ansätzen. Realistisch gesehen, wird es in Österreich nicht so rasch eine machtvolle autonome Arbeitslosenbewegung geben. Zu unterschiedlich sind die Interessen, zu verschieden die Lebensperspektiven. Vor allem: Arbeiterkammer, Sozialdemokratie und Gewerkschaften haben wenig Interesse, Arbeitslose zu organisieren. Offiziell hat ein Arbeitsloser nur ein Interesse zu haben, nämlich rasch einen Arbeitsplatz zu bekommen und sonst nichts. Doch die hohen Arbeitslosenzahlen in Europa werden nicht sinken. Arbeitslose wird es auch in Zukunft geben. Ob man Arbeitslosigkeit ehrlich bekämpft oder zynisch als Drohung für die Werktätigen akzeptiert, macht für die Situation der Arbeitslosen keinen großen Unterschied, ob man es wahrhaben will oder nicht. Gemeinsam mit den Arbeitslosen gilt es, Rechte zu fordern. Etwa das Recht, „Nein“ zu einem angebotenen Arbeitsplatz zu sagen, das Recht Kurse abzulehnen, das Recht, nach längerer Arbeitslosigkeit Urlaub konsumieren zu können. Man mag diesen Vorschlägen ablehnend oder zustimmend gegenüberstehen, entscheidend ist, daß der Alltag im AMS endlich aus jenem Dunkel geholt wird, in dem Herrschaft und Willkür so prächtig gedeihen. Wenn dieser Artikel dazu ein Anstoß ist, hat er seinen Zweck erfüllt.

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